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Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten

Titel: Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten
Autoren: Carlos Castaneda
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Erfolg allmählich kommen, unter großen Anstrengungen, aber ohne Streß oder Besessenheit.« Er stand auf und ging an den Rand des Gebüschs. Er beugte sich vor und spähte durch das Laub. Er schien etwas an den Blättern zu untersuchen, ohne sich ihnen allzusehr zu nähern. »Was tust du da?« fragte ich. unfähig, meine Neugier zu zügeln. Er drehte sich zu mir um. lächelte und hob die Augenbrauen. »Die Büsche sind voll von seltsamen Dingen«, sagte er, als er sich wieder hinsetzte.
    Er sagte dies in so beiläufigem Ton, daß es mich mehr erschreckte, als wenn er einen plötzlichen Schrei ausgestoßen hätte. Notizbuch und Bleistift fielen mir aus der Hand. Er lachte und ahmte mich nach, dann meinte er, solche übertriebenen Reaktionen seien eines der losen Enden, die es immer noch in meinem Leben gebe.
    Ich wollte etwas einwenden, aber er ließ mich nicht zu Wort kommen.
    »Wir haben nur noch ein Weilchen Tageslicht«, sagte er. »Und es gibt noch andere Dinge, über die wir reden sollten. bevor die Dämmerung hereinbricht.«
    Nach meinen Erfolgen beim »Träumen« zu urteilen, fügte er hinzu, hätte ich wohl gelernt, meinen inneren Dialog willentlich abzustellen. Dies sei der Fall, sagte ich ihm. Am Anfang unserer Verbindung hatte Don Juan mir noch eine weitere Technik geschildert: Sie bestand darin, lange Strecken zu wandern, ohne den Blick auf irgend etwas zu konzentrieren. Er hatte mir empfohlen, nichts direkt anzusehen, sondern mit den Augen leicht einwärts zu schielen, um alles, was sich dem Blick darbot, peripher im Auge zu behalten. Er hatte behauptet - auch wenn ich es damals nicht verstand -, daß es möglich sei, beinahe alles gleichzeitig wahrzunehmen, was in einem Winkel von 180 Grad vor einem liegt, wenn man den Blick, ohne zu zentrieren, auf einen Punkt knapp über dem Horizont richtet. Er hatte mir beteuert, diese Übung sei das einzige Mittel, um den inneren Dialog abzustellen. Er ließ mich regelmäßig über meine Fortschritte berichten, und irgendwann fragte er nicht mehr danach. Ich erzählte Don Juan, ich hätte diese Technik jahrelang praktiziert, ohne eine Veränderung zu bemerken, doch ich hatte ohnehin keine erwartet. Eines Tages aber war mir überraschend bewußt geworden, daß ich soeben etwa zehn Minuten gegangen war, ohne ein einziges Wort mit mir selbst zu sprechen. Ich erwähnte auch, ich hätte bei dieser Gelegenheit erkannt, daß das Anhalten des inneren Dialogs mehr bedeutete als ein bloßes Zurückhalten der Worte, die ich zu mir selbst sprach. Mein ganzer Denkprozeß hatte ausgesetzt, und ich hatte praktisch das Gefühl, zu schweben, dahinzutreiben. Auf diese Erkenntnis war ein Gefühl der Panik gefolgt, und ich mußte, sozusagen als Gegenmittel, meinen inneren Dialog wiederaufnehmen.
    »Ich sagte dir ja, der innere Dialog ist das. was uns begründet«, meinte Don Juan. »Die Welt ist so oder anders beschaffen, nur weil wir uns vorsagen, daß sie so oder anders beschaffen ist.«
    Don Juan erklärte nun, daß der Weg in die Welt der Zauberer sich erst öffne, nachdem der Krieger gelernt habe, seinen inneren Dialog abzustellen.
    »Unsere Vorstellung, unsere Ansicht von der Welt zu ändern, das ist der springende Punkt bei der Zauberei«, sagte er. »Und das Anhalten des inneren Dialogs ist die einzige Möglichkeit, dies zu erreichen. Der Rest ist nur Beiwerk. Du bist jetzt in der Lage zu erkennen, daß nichts von alledem, was du gesehen oder getan hast, ausgenommen das Anhalten des inneren Dialogs, von sich aus irgend etwas an dir oder an deiner Vorstellung von der Welt hätte ändern können. Voraussetzung ist natürlich, daß diese Veränderung nicht gestört wird. Jetzt verstehst du. warum ein Lehrer seinen Schüler nicht hart anfaßt. Dies würde nur Zwangsvorstellungen und Krankheit erzeugen.« Er fragte nach weiteren Einzelheiten über die Erfahrungen, die ich beim Abstellen des inneren Dialogs gemacht hatte. Ich berichtete alles, woran ich mich erinnern konnte. Wir sprachen, bis es dunkel wurde und ich nicht mehr mit-schreiben konnte; das Schreiben verlangte zuviel Aufmerksamkeit, und dies beeinträchtigte meine Konzentration. Don Juan erkannte es und fing an zu lachen. Er behauptete, ich hätte noch eine weitere Aufgabe der Zauberei vollbracht, nämlich zu schreiben, ohne mich zu konzentrieren. In dem Augenblick, als er dies sagte, wurde mir klar, daß das Notizenmachen mir tatsächlich kaum Aufmerksamkeit abverlangte. Es schien eine automatische Tätigkeit zu sein,
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