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Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten

Titel: Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten
Autoren: Carlos Castaneda
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fest in die Augen blickten, dann setzten sie sich gleichzeitig mit untergeschlagenen Beinen hin.
    »Nur wenn man diese Erde mit unerschütterlicher Leidenschaft liebt, kann man sich von seiner Traurigkeit befreien«, sagte Don Juan. »Ein Krieger ist immer fröhlich, weil seine Liebe unwandelbar ist und weil seine Geliebte, die Erde, ihn umarmt und ihn mit unvorstellbaren Gaben beschenkt. Die Traurigkeit ist nur bei denen, die gerade das hassen, was ihrem Dasein Obdach gibt.«
    Wieder streichelte Don Juan den Boden voller Zärtlichkeit. »Dieses liebliche Wesen, das bis in den letzten Winkel lebendig ist und jedes Gefühl versteht, besänftigte mich, es heilte mich von meinem Schmerz, und schließlich, als ich meine Liebe zu ihm ganz begriffen hatte, lehrte es mich Freiheit.« Er machte ein Pause. Die Stille um uns war furchterregend. Der Wind rauschte leise, und dann hörte ich das ferne Bellen eines einsamen Hundes.
    »Horcht auf dieses Bellen«, fuhr Don Juan fort. »Auf diese Weise will meine geliebte Erde mir helfen, euch noch dieses letzte nahezubringend. Dieses Bellen ist das Traurigste, was man hören kann.«
    Wir schwiegen eine Weile. Das Bellen jenes einsamen Hundes war so traurig und die Stimmung um uns her so intensiv, daß mich ein betäubender Schmerz befiel. Ich mußte an mein eigenes Leben denken, meine Traurigkeit, mein Nichtwissen, wohin, was tun.
    »Das Bellen des Hundes ist die nächtliche Stimme eines Menschen«, sagte Don Juan. »Sie kommt aus einem Haus in diesem Tal, gen Süden. Ein Mann schreit durch seinen Hund -denn sie sind als Sklaven Gefährten fürs Leben - seine Traurigkeit, seine Langeweile hinaus. Er fleht seinen Tod an, zu kommen und ihn von den stumpfsinnigen, trostlosen Ketten seines Lebens zu befreien.«
    Don Juans Worte hatten einen schmerzenden Nerv in mir getroffen. Ich spürte, daß er direkt zu mir sprach. »Dieses Bellen, und die Einsamkeit, die es erzeugt, all das spricht von den Gefühlen der Menschen«, fuhr er fort. »Der Menschen, fü rdie das ganze Leben war wie ein gewisser Sonntagnachmittag, ein Nachmittag, der nicht gerade erbärmlich, aber heiß und stumpfsinnig und bedrückend war. Sie schwitzten und machten eine Menge Wirbel. Sie wußten nicht, wohin sie gehen, was sie tun sollten. Dieser Nachmittag hinterließ ihnen nur die Erinnerung an kleine Ärgernisse und Langeweile, und dann, plötzlich, war er vorbei. Schon war es Abend geworden.«
    Ja, er erzählte eine Geschichte wieder, die ich ihm einmal berichtet hatte; von einem zweiundsiebzigjährigen Mann, der sich beklagte, sein Leben sei so kurz gewesen, daß er meinte, es sei erst gestern gewesen, als er ein kleiner Junge war. Er hatte mir gesagt: »Ich erinnere mich noch an den Pyjama, den ich mit zehn Jahren trug. Es scheint erst einen Tag her. Wo ist bloß die Zeit geblieben?«
    »Und hier ist das Gegengift, das dieses Gift austreibt«, sagte Don Juan und liebkoste den Boden. Die Erklärung der Zauberer kann den Geist überhaupt nicht befreien. Schaut euch an, ihr beide! Ihr habt die Erklärung der Zauberer vernommen, aber daß ihr sie jetzt wißt, ändert gar nichts. Ihr seid mehr allein denn je, denn ohne eine unerschütterliche Liebe zu dem Wesen, das euch Schutz bietet, ist das Alleinsein Einsamkeit. Nur die Liebe zu diesem strahlenden Wesen kann dem Geist eines Kriegers Freiheit geben, und Freiheit ist Freude, Tüchtigkeit und Unerschrockenheit im Angesicht von Widrigkeiten. Dies ist die letzte Lektion. Sie wird stets für den allerletzten Augenblick aufbewahrt, für den Moment der äußersten Einsamkeit, da ein Mann seinem Tod und seinem Alleinsein gegenübertritt. Erst dann versteht er.«
    Don Juan und Don Genaro standen auf, reckten die Arme und krümmten den Rücken, als ob sie vom Sitzen steif geworden wären. Mein Herz schlug schneller. Sie hießen Pablito und mich aufstehen.
    »Die Dämmerung ist der Spalt zwischen den Welten«, sagte Don Juan. »Sie ist die Pforte zum Unbekannten.« Mit einer ausholenden Handbewegung wies er auf die Mesa, auf der wir standen.
    »Dies ist die Schwelle vor jener Pforte.« Dann deutete er zum nördlichen Abbruch der Mesa. »Dort ist die Pforte! Dahinter ist ein Abgrund, und jenseits dieses Abgrunds ist das Unbekannte.«
    Dann wandten Don Juan und Don Genaro sich an Pablito und sagten ihm Lebewohl. Pablitos Augen waren weit geöffnet und starr. Tränen liefen ihm über die Wangen. Ich hörte Don Genaros Stimme mir Lebewohl sagen, aber Don Juans Stimme hörte ich
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