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Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten

Titel: Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten
Autoren: Carlos Castaneda
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völlig ernst damit gewesen.
    »Und damit sind wir beim letzten Teil der Erklärung der Zauberer«, sagte er. »Gestern nacht zeigten Genaro und ich dir die letzten beiden Punkte, die die Ganzheit des Menschen ausmachen, das Nagual und das Tonal. Ich habe dir einmal gesagt, daß diese zwei Punkte außerhalb von uns und doch nicht außerhalb liegen. Dies ist das Paradox der leuchtenden Wesen. Das Tonal eines jeden von uns ist nur ein Reflex jenes unbeschreiblichen Unbekannten, das mit Ordnung erfüllt ist. Das Nagual eines jeden von uns ist nur ein Reflex jener unbeschreiblichen Leere, die alles enthält. Und jetzt solltest du an Genaros Platz der >Inneren Wahl< sitzenbleiben, bis es dämmert. Bis dahin solltest du die Erklärung der Zauberer in dich aufgenommen haben. Wie du hier sitzt, hast du nichts außer der Kraft deines Lebens, die dieses Bündel von Gefühlen zusammenhält.« Er stand auf.
    »Morgen wirst du die Aufgabe haben, dich allein in das Unbekannte zu stürzen, während Genaro und ich dich beobachten werden, ohne einzuschreiten«, sagte er. »Bleib hier sitzen und stell deinen inneren Dialog ab! Vielleicht kannst du die Kraft ansammeln, die du brauchst, um die Flügel deiner Wahrnehmung auszubreiten und in diese Unendlichkeit zu fliegen.«

Die innere Wahl zweier Krieger
    Don Juan weckte mich bei Anbruch der Dämmerung. Er reichte mir eine mit Wasser gefüllte Kalebasse und einen Beutel Trockenfleisch. Schweigend gingen wir ein paar Meilen bis zu der Stelle, wo ich vor zwei Tagen mein Auto geparkt hatte.
    »Diese Reise ist unsere letzte gemeinsame Reise«, sagte er mit ruhiger Stimme, als wir den Wagen erreichten. Es gab mir einen Stich im Magen. Ich wußte, was er meinte. Während ich die Tür zum Beifahrersitz öffnete, lehnte er sich gegen den hinteren Kotflügel und blickte mich mit einem Gefühlsausdruck an, den er nie zuvor gezeigt hatte. Wir stiegen ein, aber bevor ich den Motor anließ, machte er einige dunkle Andeutungen, die ich ebenfalls mit völliger Klarheit verstand; er sagte, wir müßten ein paar Minuten im Auto sitzenbleiben und noch einmal ein paar sehr persönliche und bittere Gefühle streifen.
    Ich saß ruhig da, aber mein Geist war rastlos. Ich wollte etwas zu ihm sagen, irgend etwas, das hauptsächlich mich besänftigen sollte. Vergeblich suchte ich nach den richtigen Worten, nach der Formel, die das eine ausdrücken könnte, das ich »wußte«, ohne daß es mir gesagt worden wäre. Don Juan sprach über einen kleinen Jungen, den ich einmal gekannt hatte, und darüber, wie mein Gefühl für ihn sich mit den Jahren oder über die Entfernung hin nicht verändert habe. Don Juan sagte, er sei sicher, daß mein Geist, immer wenn ich an den kleinen Jungen dachte, vor Freude hüpfte und ich ihm ohne eine Spur von Selbstmitleid oder Verzagtheit Glück wünschte.
    Ja, er erinnerte mich an eine Geschichte von einem kleinen Jungen, die ich ihm einmal erzählt hatte, eine Geschichte, die ihm sehr gefallen hatte und die, wie er fand, eine tiefere Bedeutung enthielt. Während einer Wanderung in den Bergen bei Los Angeles war der kleine Junge müde geworden und wollte nicht mehr laufen, darum hatte ich ihn auf meinen Schultern reiten lassen. Da überschwemmte uns beide ein Woge von Glückseligkeit, und der kleine Junge juchzte seinen Dank an die Sonne und an die Berge hinaus. »Das war seine Art, dir Lebewohl zu sagen«, sagte Don Juan. Ich spürte meine Beklommenheit als Druck im Hals. »Es gibt viele Arten Lebewohl zu sagen«, sagte er. »Die beste ist vielleicht, sich eine bestimmte Erinnerung der Freude zu bewahren. Wenn du zum Beispiel lebst wie ein Krieger, dann wird die warme Herzlichkeit, die du empfandest, als der kleine Junge auf deinen Schultern ritt, frisch und scharf sein, solange du lebst. Dies ist die Art des Kriegers, Lebewohl zu sagen.« Rasch ließ ich den Motor an und fuhr schneller als gewöhnlich über den festen, steinigen Boden, bis wir die Sandstraße erreichten. Wir fuhren ein kurzes Stück, und dann wanderten wir den Rest des Tages zu Fuß. Nach etwa einer Stunde erreichten wir eine Gruppe von Bäumen. Dort warteten Don Genaro, Pablito und Nestor auf uns. Ich begrüßte sie. Alle schienen sie so glücklich und energiegeladen. Als ich sie und Don Juan ansah, überkam mich ein tiefes Mitgefühl für sie alle. Don Genaro umarmte mich und klopfte mir liebevoll den Rücken. Er sagte zu Nestor und Pablito, ich hätte eine gute Leistung vollbracht, als ich zum Grund der
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