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Dolores

Dolores

Titel: Dolores
Autoren: Stephen King
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in meinen Schlafzimmerpantoffeln. Dann verschwand dieses Bild, und ich mußte wieder daran denken, wie Sammy Marchants Augen ausgesehen hatten, als sie vom Nudelholz zu mir wanderten und dann wieder zurück zum Nudelholz. Sie hatten genau so ausgesehen, wie die von Selena an jenem Tag im Garten, ganz dunkel und voller Fragen. Und dann dachte ich an die Frau, die mich angerufen und gesagt hatte, es gäbe noch genug anständige Christenmenschen auf der Insel, die es nicht nötig hätten, mit Mördern zusammenzuleben. Ich fragte mich, was diese Frau und ihre Freundinnen denken würden, wenn sie erfuhren, daß Veras Tod mir dreißig Millionen Dollar eingebracht hatte - und dieser Gedanke brachte mich an den Rand einer Panik.
    »Das können Sie nicht!« sagte ich ziemlich heftig. »Haben Sie gehört? Sie können mich nicht zwingen, es zu nehmen!«
    Jetzt war er es, der sagte, er hätte mich nicht richtig verstanden - die Verbindung müsse irgendwo gestört sein. Und das wunderte mich ganz und gar nicht. Wenn ein Mann wie Greenbush jemanden sagen hört, er wollte keinen Dreißig-Millionen-Dollar-Batzen, dann muß er einfach glauben, daß da ein technischer Fehler vorliegt. Ich machte den Mund auf, um ihm noch einmal zu sagen, daß ich es nicht haben wollte, daß er es bis auf den letzten Heller dem New England Home for Little Wanderers geben sollte, als mir plötzlich klar wurde, was es war, das bei alledem nicht stimmte. Es fiel mir nicht einfach ein; es stürzte auf mich herab wie eine Ladung Ziegelsteine.
    »Donald und Helga!« sagte ich. Es muß sich angehört haben wie bei einer Spielshow im Fernsehen, wenn der Kandidat in der allerletzten Sekunde der Bonusrunde mit der richtigen Antwort herausplatzt.
    »Wie bitte?« fragte er, irgendwie auf der Hut.
    »Ihre Kinder!« sagte ich. »ihr Sohn und ihre Tochter! Dieses Geld gehört ihnen, nicht mir! Sie sind Blutsverwandte! Ich bin nichts als eine bessere Haushälterin.«
    Es folgte eine so lange Pause, daß ich dachte, die Verbindung wäre unterbrochen, und das tat mir kein bißchen leid. Mir war ziemlich flau, um die Wahrheit zu gestehen. Ich wollte gerade auflegen, als er mit dieser komischen trockenen Stimme sagte: »Sie wissen es also nicht.«
    »Was weiß ich nicht?« schrie ich ihn an. »Ich weiß, daß sie einen Sohn hat, der Donald heißt und eine Tochter, die Helga heißt! Ich weiß, daß sie sich zu gut dazu waren, herzukommen und sie hier zu besuchen, obwohl ihre Zimmer immer in Ordnung gehalten wurden, aber ich kann mir vorstellen, daß sie sich nicht zu gut dazu sind, jetzt, wo sie tot ist, einen derartigen Haufen Geld unter sich aufzuteilen.«
    »Sie wissen es nicht«, sagte er wieder. Und dann, als stellte er nicht mir die Fragen, sondern sich selbst, sagte er: »Kann es sein, daß Sie es nicht wissen, nach all den Jahren, die Sie für sie gearbeitet haben? Ist das möglich? Hat Kenopensky es Ihnen nicht erzählt?« Und noch bevor ich ein Wort einwerfen konnte, fing er an, seine verdammten Fragen selbst zu beantworten. »Natürlich ist es möglich. Wenn man von einer kurzen Notiz auf der Innenseite der Lokalzeitung absieht, hat sie dafür gesorgt, daß die Sache nicht an die große Glocke gehängt wurde das konnte man vor dreißig Jahren, wenn man bereit war, dafür zu bezahlen. Ich glaube, es gab nicht einmal Todesanzeigen.« Er brach ab, dann sagte er auf die Art eines Mannes, der gerade über einen Menschen, den er sein Leben lang gekannt hat, etwas Neues - etwas Gewaltiges herausgefunden hat: »Sie hat von ihnen geredet, als wären sie am Leben, ja? All diese Jahre?« 
    »Wovon reden Sie eigentlich?« schrie ich ihn an. Mir war, als sauste in meinem Magen ein Fahrstuhl abwärts, und ganz plötzlich fügten sich alle möglichen Dinge Kleinigkeiten - in meinem Kopf zusammen. Ich wollte es nicht, aber es geschah trotzdem. »Natürlich hat sie von ihnen geredet, als wären sie am Leben. Sie sind am Leben. Er hat eine Maklerfirma in Arizona Golden West Associates! Sie entwirft Kleider in San Francisco Gaylord Fashions!«
    Nur daß sie immer diese dicken Paperbacks gelesen hatte, historische Romane mit Frauen in tief ausgeschnittenen Kleidern, die Männer küßten, die ihr Hemd ausgezogen hatten, und der Markenname dieser Bücher war Golden West das stand bei jedem Exemplar auf einem kleinen Folienstreifen. Und ganz plötzlich fiel mir ein, daß sie in einer kleinen Stadt geboren war, die Gaylord, Missouri hieß. Ich wollte denken, daß sie irgendwie anders
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