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Doktor Proktors Pupspulver

Doktor Proktors Pupspulver

Titel: Doktor Proktors Pupspulver
Autoren: Jo Nesbø
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hatte. Diese Erfindung war ein sehr hartes, sehr rätselhaftes und sehr geheimes Material, das unter anderem für Gefängnistüren verwendet wurde, um die Gefängnisse so gut wie restlos ausbruchssicher zu machen. Mit dem Geld, das er dank dieser Erfindung verdiente, hatte Herr Thrane unter anderem das protzige Haus mit den drei Garagen gebaut und sich einen Hummer gekauft. Ein Hummer ist ein fettes, hässliches Auto, das ursprünglich für Kriegszwecke gebaut worden war und das fast die gesamte Straße einnahm, wenn Herr Thrane durch die Kanonenstraße fuhr. Außerdem spuckt so ein Hummer ganz fürchterlich viele Abgase aus. Aber das war Herrn Thrane egal, denn er mochte fette, hässliche Autos ziemlich gern.

    Außerdem wusste er ja, wenn er nicht aufpasste und einen Unfall baute, dann war sein Auto viel größer als das der anderen, da hatten die anderen dann Pech gehabt.
    Zum Glück würde es wieder einige Zeit dauern, bis Truls und Trym Lise in den Schnee werfen konnten, denn die Sonne hatte längst allen Schnee geschmolzen, der in der Kanonenstraße lag, und jetzt schien sie auf die Gärten, die alle grün und gut gepflegt waren. Alle – bis auf einen. Dieser Garten war zugewuchert, grau und struppig, aber er lächelte dennoch, denn in ihm standen zwei Birnbäume und ein kleines, schiefes Häuschen, das vielleicht früher einmal blau gewesen war und an dem ganz sicher ziemlich viele Dachziegel fehlten. Dort lebte ein Mann, den die Bewohner der Kanonenstraße nur selten zu sehen bekamen. Lise war ihm nur zwei, drei Mal begegnet und dann hatte er gelächelt und eigentlich ausgesehen wie sein eigener Garten: zugewuchert, grau und struppig.
    »Was ist denn das?«, brummte der Kommandant. Auf einmal wurde die morgendliche Stille von lautem Motorengedröhn gestört. »Ist das etwa der verflixte Hummer von Herrn Thrane?«
    Seine Frau reckte den Hals und sah aus dem Küchenfenster. »Nein. Das sieht aus wie ein Umzugswagen.«
    Lise, die sonst ein sehr wohlerzogenes Mädchen war, stand vom Tisch auf, ganz ohne zu fragen, obwohl sie ihren Teller noch nicht leer gegessen hatte, und rannte hinaus auf die Eingangstreppe. Tatsächlich. Vor dem leeren gelben Haus stand ein Laster mit der Aufschrift SCHNELL & VERRÜCKT . Und jetzt wurden Pappkartons ausgeladen.
    Lise ging die Treppe hinunter zu dem sogenannten Apfelbaum beim Zaun, um sich das genauer anzusehen. Träger in blauen Latzhosen schleppten Möbel, Lampen und große, hässliche Bilder ins Haus. Sie sah, wie ein Möbelpacker einen anderen auf eine Trompete aufmerksam machte, die auf einem Umzugskarton lag, und beide lachten. Leider sah sie nicht, was sie so gern gesehen hätte: Puppen, kleine Fahrräder und kurze Skier. Das konnte nur bedeuten, dass die Leute, die da einzogen, keine Kinder hatten, jedenfalls keine Mädchen in ihrem Alter. Lise seufzte.

    Und in genau diesem Augenblick hörte sie eine Stim me: »Hallo!« Sie schaute sich verwundert um, sah aber niemanden. »Hallöchen!« Sie sah in den Baum hinauf, den Papa als einen Apfelbaum bezeichnete, an dem aber noch niemals jemand ei nen Apfel gesehen hatte. Aber jetzt hatte der Baum im merhin angefangen zu reden.

    »Nicht da oben«, sagte die Stimme. »Hier.«
    Lise stellte sich auf die Zehenspitzen und schaute auf die andere Seite des Zauns. Und da stand ein kleiner Junge mit roten Haaren. Übrigens waren seine Haare nicht nur rot, sondern ritzeratzerot. Und er war nicht nur klein, sondern winzig klein. Mit einem winzigen Gesicht mit zwei winzigen blauen Augen und dazwischen einer winzigen Himmelfahrtsnase.
    »Ich heiße Bulle«, sagte er. »Was sagt man dazu?«
    »Wozu?«, fragte Lise.
    »Zu so einem Namen. Der ist nicht gerade üblich.«
    Lise dachte nach. »Ich weiß nicht«, sagte sie.
    »Schön«, lächelte der Junge. »Der Name reimt sich unter anderem auf Pulle, aber damit lassen wir’s dann auch gut sein. Einverstanden?«

    Lise nickte. Der Junge steckte sich den rechten Zeigefinger ins linke Ohr. »Und wie heißt du?«
    »Lise«, sagte Lise.
    Bulles Zeigefinger popelte hingebungsvoll in seinem Ohr herum, während der Junge Lise anblickte. Schließlich zog er den Finger wieder aus dem Ohr, sah ihn an, nickte zufrieden und wischte ihn sich am Hosenbein ab.

    »Mir fällt gerade nichts Lustiges ein, das sich auf Lise reimt«, sagte er. »Hast Glück gehabt.«
    »Ziehst du in Annas Haus ein?«
    »Ich kenne keine Anna, aber wir ziehen in diese gelbe Bude hier.« Bulle deutete mit dem Daumen nach hinten
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