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Doktor Proktors Pupspulver

Doktor Proktors Pupspulver

Titel: Doktor Proktors Pupspulver
Autoren: Jo Nesbø
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Miniaturpapa, der so aussah wie der Papa auf den Bildern, die sie Bulle gezeigt hatte. »Miniatur« bedeutet, dass etwas sehr klein ist, und es passte ja, dass Bulle einen Miniaturpapa hatte, weil Bulle der kleinste Junge war, den er selbst je gesehen hatte.
    Er ging in die Küche und machte sich Frühstück. Obwohl sie erst am Tag zuvor eingezogen waren, fand er alles, was er brauchte, denn er war schon so oft umgezogen, dass er mehr oder weniger wusste, wo seine Mutter die Sachen verstaute. Die Teller im Schrank links, das Besteck in der obersten Schublade, das Brot in der Schublade darunter.
    Er wollte gerade in ein dickes Salamibrot beißen, da wurde es ihm aus der Hand gerissen.
    »Na, Zwerg, wie geht’s?«, fragte Eva und biss genau in die Stelle, in die Bulle eigentlich selbst hatte reinbeißen wollen. Eva war Bulles Schwester. Sie war fünfzehn. Entweder sie langweilte sich oder sie war böse.
    »Hast du gewusst, dass Bluthunde die dümmsten Hunde der Welt sind?«, fragte Bulle. »Wenn ein Bluthund einem Zwergpudel, dem klügsten Hund der Welt, etwas wegnimmt, dann merkt er nicht, dass er ausgetrickst wird.«
    »Halt den Mund«, sagte Eva.
    Aber Bulle hielt den Mund nicht. »Wenn der Zwergpudel weiß, dass der Bluthund das Salamibrot gerochen hat und gleich kommt, um es ihm wegzunehmen, dann schmiert er immer Elefantenschneckenschleim mit aufs Brot.«
    »Elefantenschnecken?«, schnaufte Eva mit einem misstrauischen Blick. Ihr Pech war, dass Bulle Bücher las und darum allerlei Dinge wusste, von denen sie keine Ahnung hatte, und darum konnte sie nie ganz sicher sein, ob etwas nur Bulle-Erfindung war oder nicht doch aus diesen blöden Büchern. Es konnte zum Beispiel aus dem Buch stam- men, in dem Bulle am häufigsten las, einem alten, dicken, verstaubten Buch, das er vom Großvater geerbt hatte, es hieß »TIERE, DENEN DU NIE BEGEGNEN MÖCHTEST«.
    »Hast du etwa noch nie eine Elefantenschnecke gesehen?«, rief Bulle. »Schau mal aus dem Fenster, das Gras ist voll von denen. Dicke, schleimige Dinger. Wenn man sie zwischen zwei Buchdeckeln presst, kommt was raus, das sieht aus wie der grüngelbe Schnodder, der Leuten mit Peking-Grippe dritten Grades aus der Nase tropft. Es gibt keinen schlimmeren Schnodder als echten Peking-Grippen-Schnodder dritten Grades. Also abgesehen von Elefantenschneckenschleim.«
    »Wenn du mich anlügst, kommst du in die Hölle«, sagte Eva und schaute sicherheitshalber zwischen Salami und Brot nach.

    Bulle hüpfte schnell vom Stuhl. »Ich hoffe, die haben da eine Schulkapelle«, sagte er. »Und ich darf Trompete spielen.«
    »Du darfst nie in irgendeiner Kapelle spielen!«, rief Eva ihm hinterher. »Kein Mensch will einen Trompeter haben, der so klein ist, dass er nicht mal hinter der Pauke hervorschaut. Und keine Kapelle hat so kleine Uniformen!«
    Bulle zog im Flur seine winzigen Schuhe an und ging auf die Treppe hinaus, stellte sich stramm in Habtachtstellung hin, presste die Lippen aufeinander, setzte die Trompete an und spielte eine kleine Melodie, die sein Großvater ihm beigebracht hatte. Es war ein morgendlicher Weckruf, der dazu gedacht war, die Langschläfer aus dem Bett zu jagen. »Alle Matrosen zur Aufstellung!«, rief Bulle, als er fertig war, denn auch das hatte sein Großvater ihn gelehrt. »Sofort alle mit zwei Beinen an Deck und einen klaren Blick! Macht euch bereit zur Morgeninspektion, klar zur Königshymne. Habt... acht!«
    Die Möbelpacker gehorchten, blieben stocksteif auf dem Kiesweg im Garten stehen, Mamas fünfsitziges Eichenholzsofa fest im Griff. Einige Sekunden lang war es so still, dass man nichts hörte außer vorsichtigem Vogelgezwitscher und dem Müllwagen, der langsam die Kanonenstraße heraufkam.
    »Interessant«, hörte Bulle eine freundliche, etwas scheppernde Stimme sagen. »Ein neuer Kommandant in unserer Straße.«

    Er drehte sich um. Ein großer, dünner Mann lehnte am Holzzaun zum Nachbarhaus. Sein weißes Haar war genauso lang und ungepflegt wie das Gras in seinem Garten. Sein blauer Kittel sah aus wie der des Werklehrers in Bulles alter Schule und er trug etwas im Gesicht, das aus sah wie eine Schwimmbrille. Bulle dachte, entweder ist das der Weihnachtsmann nach einer Schlankheitskur oder ein verrückter Professor.

    »Habe ich Sie gestört?«, fragte Bulle.
    »Im Gegenteil«, lächelte der Strubbelkopf. »Ich musste unbedingt gleich nachschauen, wer hier so schön spielt. Diese Töne haben wunderbare Erinnerungen geweckt, Erinnerungen an
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