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Dog Boy

Dog Boy

Titel: Dog Boy
Autoren: Eva Hornung
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drei, vier Jahre lang in dieser Höhle geschlafen hatte, wieder in die Gesellschaft eingliedern? Herrgott noch mal, sie waren doch schließlich die Experten und wussten ganz genau, dass er nicht mehr formbar war, sich nicht mehr in ein normales Leben verpflanzen ließ. Sie mied Dimitris Blick und fürchtete sich vor dem Moment, in dem er die in ihr aufsteigende Angst wittern und ebenfalls ins Wanken geraten würde.
    Sie spürte eine Berührung an ihrer Taille, Dimitri legte den Arm um sie. Er hielt sich jetzt nicht mehr die Nase zu, sondern betrachtete sie im Dunkeln und holte tief Luft, als wäre das ein Genuss. »Was für ein Bursche, hm, Natalotschka? Was für ein erstaunlicher Junge – er war hier König.« Dimitri grinste. »Jetzt muss er lernen, Bettelmann zu sein.«
    Sie wusste, dass Dimitri das nicht ernst meinte. Er war ein absoluter Realist. Sie lachte unsicher.
    »Er wird ziemlich unglücklich sein.« Ihre Stimme klang schwach. Natürlich war Romotschka nicht zu retten. Er war klug, ja, aber es bestand keine Hoffnung. Genau wie die bomsch -Kinder, die ein bestimmtes Alter überschritten hatten. Eigentlich, dachte sie, müssten sie auch die Welpen töten, sie aus ihrem Elend erlösen. Und sich dann gründlich die Hände waschen, damit Romotschka sie nicht an ihnen roch. Vermutlich konnte Romotschka die Fürsorge, die er brauchte, nur in einer Sondereinrichtung erhalten.
    Als Dimitri sprach, konnte sie ihn lächeln hören.
    »Er ist ein Mensch. All das existiert, weil er ein Mensch ist. Es gibt kein Zurück, Natalotschka, weder für ihn noch für uns.« Er griff nach den knurrenden Würmchen, schob sie in seine Manteltaschen und führte Natalja stolpernd aus dem scheußlichen Loch.
    Sobald sie wieder an der frischen Luft waren, fühlte Natalja sich besser. Sie schauderte lachend und versuchte, die wirre Dunkelheit abzuschütteln, die sie umgeben hatte. »Puuuh! Wir stinken! Was für ein Ort. Komm, lass mich einen tragen, sonst bekommst du wieder Asthma.«
    Bis auf einen letzten Überrest ihrer Niederlage hatte sie alles in der Höhle des Ungeheuers zurückgelassen. Sie begaben sich unter heftigem Jucken zur nächstgelegenen Metrostation, kratzten sich unter ihrer Kleidung, und als sie das willkommene rote M am Eingang erblickten, hatte Natalja alle drei Welpen an sich genommen und jonglierte mit ihnen zwischen Händen und Taschen, zog Dimitri mit seinen imaginären Allergien auf und versuchte, ihre schreckliche Unsicherheit mit klugen, lebhaften Gesprächen zu überspielen.
     
    ~
     
    Im Hausflur hörten sie trotz der gepolsterten Türen, wie Romotschka immer wieder ein fremdartiges Kreischen und Knurren ausstieß. Ihnen blieb keine Zeit, die Welpen zu füttern oder zu waschen.
    »Lass ihn das übernehmen«, stieß Natalja hervor, gab Dimitri zwei von den Welpen zurück und eilte die Treppe hinauf.
    Sie schlossen rasch auf, gingen hinein und sperrten die gepolsterte Wohnungstür wieder zu. Es war besser, wenn die Nachbarn nicht allzu viel von dem Kreischen mitbekamen. Vor der Tür des Gästezimmers blieben sie stehen, sahen sich an und traten dann ein.
    Im Zimmer stank es nach frischem Kot. Konstantin Petrowitsch stand erschöpft neben der Tür. Über seine Arme zogen sich in blutigen Striemen Bisse und Kratzwunden, und Romotschka hatte teils blindlings, teils gut gezielt mit Kot geworfen. Für Dimitri war der Anblick des Jungen ein Schock. Er erkannte ihn kaum wieder. Romotschkas Haare waren abrasiert, und dadurch war ein unerwartet kleines Gesicht zum Vorschein gekommen, ein kleines Kind mit einer roten, aufgewölbten Narbe auf seinem Schädel. Der Junge war nackt und wie Marko ziemlich behaart. Er hatte ein weißes Hemd und eine weiße Schlafanzughose getragen, doch jetzt lagen die beiden Kleidungsstücke kotverschmiert in verschiedenen Ecken des Zimmers. Konstantin hatte dem Jungen die Hände auf den Rücken gefesselt.
    Romotschka blickte Dimitri unsicher an. Seine Wut und das Gefühl der Entblößung legten sich, und plötzlich war er schrecklich verwirrt. Wie konnte das sein? Er roch einen Hauch von Mamotschka. Er roch sein Zuhause und noch viel mehr. Wie war das bloß möglich? Er spürte Dimitris Aufregung und Nervosität, war verstört und wie benebelt.Laute Geräusche taten ihm weh: Seine Ohren waren plötzlich zu dröhnenden Lufttunneln geworden, die tief in seinen Kopf führten. Ohne sein Haar fühlte er sich völlig ungeschützt. Dimitri hatte ihn verraten, aber was war jetzt? Was hatte er
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