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Doener, Machos und Migranten

Titel: Doener, Machos und Migranten
Autoren: Betuel Durmaz
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sollten, hatte nichts mit dem zu tun, was die beiden Migrantinnen erwartet bzw. sich erträumt hatten.
    Glücklicherweise lebte eine Bekannte aus Istanbul mit ihrem Mann im Nebengebäude. Sie wusste von der Ankunft der beiden jungen Frauen und hatte selbstverständlich gekocht und sie zum Essen eingeladen. Nach einem ausgiebigen gemeinsamen Abendessen und vielen Fragen fielen meine Mutter und ihre Freundin in einen tiefen Schlaf.

    Am nächsten Tag ging es zum ersten Mal zu ihrer neuen Arbeitsstelle, die nur drei Minuten zu Fuß entfernt lag. Dort stellte der Dolmetscher die beiden Frauen dem Abteilungsleiter vor, einem freundlichen und höflichen Menschen, der den Neuankömmlingen durch seine sympathische Art wenigstensein paar Ängste und Unsicherheiten nahm. Schließlich waren sie das erste Mal allein von zu Hause weg und ganz auf sich gestellt. Weder meine Mutter noch ihre Freundin verstanden auch nur ein Wort. Bei einem ersten Rundgang durch die Fabrik lernten sie die verschiedenen Arbeitsbereiche kennen, die ihnen vermutlich wie ein Buch mit sieben Siegeln erschienen. Die Pottendorfer Textilfabrik stellte aus angelieferter Baumwolle Fäden her. In einem Teil der Fabrik wurde die grobe Baumwolle (maschinell) gekämmt. Andere Maschinen sorgten für die Kardierung der Baumwolle, d.h. die Faservereinzelung zur Vermeidung der Faserschädigung. Anschließend wurde sie in verschiedenen Farben eingefärbt und zu Fäden gesponnen.
    Der Dolmetscher zeigte den Neuankömmlingen auch das Lohnbüro, ein für alle Gastarbeiter wichtiger Ort. Dort mussten sie ihre Pässe abgeben und die nötigen Formalitäten erledigen. Um die notwendigen Papiere wie Arbeitserlaubnis und das Visum hatte sich das Unternehmen bereits im Vorfeld gekümmert.
    Nachdem die organisatorischen Dinge erledigt waren, wurde den beiden Frauen ihr Arbeitsplatz gezeigt und ihre Aufgabe erklärt. Meine Mutter arbeitete an einer Maschine, mit deren Hilfe die grobe Baumwolle zu Fäden gesponnen und auf einzelne große Spindeln gerollt wurde. Die Überwachung der Maschine oblag der Ringspinnerin. Sobald auf einer Spindel genügend Fäden aufgerollt waren, musste die Ringspinnerin sie per Hand durch eine leere ersetzen.
    Mitunter riss der Faden und die Maschine musste sofort gestoppt werden. Nun war viel Fingerspitzengefühl gefragt, denn die beiden Enden des gerissenen Fadens mussten manuell zusammengeführt werden, sodass sich das abgerissene Fadenteil mit dem Faden auf der Rolle quasi wieder verwebte. Ein Verknoten der beiden Fadenteile war nicht möglich, dennein Knoten auf der Spindel wäre viel zu groß gewesen. Diese Arbeit war äußerst anstrengend, zumal Zeitdruck herrschte, denn die Maschine durfte nicht zu lange stillstehen.
    Gearbeitet wurde in der Textilfabrik jeweils acht Stunden am Tag in zwei Schichten. Die Frühschicht begann um 6 Uhr morgens und endete gegen 14:30 Uhr. Die Mittagsschicht verlief von 14:30 Uhr bis 23:00 Uhr. Die Arbeiter wurden in Wechselschicht eingesetzt, d.h. eine Woche früh und eine Woche spät. Je nach Bedarf wurde auch flexibel gewechselt. Samstag und Sonntag waren arbeitsfrei. Mitunter musste auch samstags gearbeitet werden, denn an diesen Tagen wurden die Maschinen der Textilfabrik von den Frauen gereinigt. Meiner Mutter war dies nur recht, denn Samstagsarbeit bedeutete nicht nur bezahlte Überstunden, sondern auch Beschäftigung und damit eine willkommene Ablenkung von ihrem Heimweh.
    Im ersten Monat ihrer Tätigkeit verlor meine Mutter 15 Kilogramm Gewicht. Hauptgrund dafür war nicht die körperliche Arbeit, die sie als ausgebildete Bürokauffrau und spätere Hausfrau nicht gewohnt war, sondern die psychische Qual, getrennt von ihren Kindern und ihrem Mann zu sein. Da sie jedoch während der beiden Schwangerschaften 20 Kilogramm zugenommen hatte, betrachtete sie die Gewichtsabnahme eher als einen positiven Nebeneffekt.
    Die Firma Pottendorf beschäftigte im Jahr 1968 etwa 100 Arbeiter und Arbeiterinnen. Nicht alle kamen aus der Türkei, es gab auch eine ganze Anzahl einheimischer Fabrikarbeiter. Meine Mutter beschreibt ihre österreichischen Kollegen als äußerst freundlich und geduldig. Wo immer sie konnten, hätten sie die Gastarbeiterinnen unterstützt und ihnen die zu erledigenden Arbeiten in aller Ruhe erklärt. Sogar das Essen in den Pausen hätten sie mit den Gastarbeitern geteilt. Von Fremdenfeindlichkeit, Mobbing und rechtsradikalen Parolen à la Jörg Haider war damals noch keine Spur.
    Am dritten Tag nach
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