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Doch die Sünde ist Scharlachrot

Doch die Sünde ist Scharlachrot

Titel: Doch die Sünde ist Scharlachrot
Autoren: George Elizabeth
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sich das Haar mit einem schlaffen Handtuch frottierte, das nur zu diesem Zweck an einem Haken hinter der Tür hing. Dann ging er zur Anrichte und schaltete den Wasserkocher ein. Jetzt kam also der Nescafé. Ein Löffel Zucker, keine Milch. Immer in demselben Kaffeebecher, dem mit der Aufschrift ›Newquay Invitational‹. Während er seinen Kaffee trank, stand er am Fenster und starrte hinaus in den Garten, und war der Becher geleert, wurde er umgehend gespült. Sein Vater war die Spontaneität in Person.
    Cadan wartete, bis Lew den Becher in der Hand hielt und wie üblich ans Fenster trat. Er nutzte die Zeit, um Pooh im Wohnzimmer auf seinen Stammplatz zu setzen. Dann kehrte er in die Küche zurück und verkündete: »Ich hab 'nen Job, Dad.«
    Sein Vater trank einen Schluck. Völlig lautlos. Kein Schlürfen von heißem Kaffee, kein zustimmender Brummlaut. Als er sich schließlich entschloss zu sprechen, fragte er: »Wo ist deine Schwester?«
    Cadan gedachte nicht, sich ablenken zu lassen. »Hast du gehört, was ich gesagt hab?«, fragte er. »Ich habe einen Job. Einen vernünftigen.«
    »Und hast du gehört, was ich dich gefragt habe? Wo ist Madlyn?«
    »Es ist ein normaler Werktag. Ich nehme an, sie ist bei der Arbeit.«
    »Da bin ich vorbeigefahren. Da war sie nicht.«
    »Dann weiß ich auch nicht, wo sie ist. Vermutlich sitzt sie irgendwo und heult in die Suppe, statt sich zusammenzureißen, wie jeder andere es täte. Man könnte glatt meinen, es wäre das Ende der Welt.«
    »Ist sie in ihrem Zimmer?«
    »Ich hab dir doch gesagt …«
    »Wo?«
    Lew hatte sich immer noch nicht vom Fenster abgewandt, was Cadan auf die Palme brachte. Am liebsten hätte er ein halbes Dutzend Pints vor den Augen seines Vaters geleert, nur damit der ihm endlich seine Aufmerksamkeit schenkte. »Ich sag doch, ich weiß nicht, wo …«
    »Wo hast du einen Job bekommen?« Lew wandte sich um. Nicht nur eine Drehung des Kopfes, sondern des ganzen Körpers. Er lehnte sich an die Fensterbank. Sein Blick ruhte auf seinem Sohn, und Cadan wusste, er wurde gelesen, abgeschätzt und für unzulänglich befunden. Auf dem Gesicht seines Vaters lag ein Ausdruck, den er kannte, seit er sechs war.
    »Adventures Unlimited«, antwortete er. »Ich soll das Hotel auf Vordermann bringen, bis die Saison anfängt.«
    »Und was dann?«
    »Wenn alles klappt, werde ich Trainer.« Dies zu behaupten, war zwar ein bisschen voreilig, aber es stand immerhin zu hoffen; schließlich waren sie im Moment ja wirklich dabei, Trainer für den Sommer auszuwählen. Abseilen, klettern, Kajak fahren, schwimmen, segeln … Er konnte all das, und selbst wenn sie ihn dafür nicht wollten, hatte er ja immer noch das Freestyle-BMX-Fahren in der Hinterhand und seinen Plan, den Minigolfplatz umzugestalten. Doch das erzählte er seinem Vater nicht. Eine Silbe über Freestyle, und Lew würde das Wort ›Hintergedanken‹ hineininterpretieren, als stünde es auf Cadans Stirn tätowiert.
    »Wenn alles klappt.« Lew stieß die Luft durch die Nase aus. Das war seine Version eines verächtlichen Schnaubens, und es sagte mehr aus, als ein dramatischer Monolog es vermocht hätte. »Und wie willst du dort hinkommen? Auf dem Ding da draußen?« Womit er das Fahrrad meinte. »Denn deinen Autoschlüssel bekommst du von mir nicht zurück, und auch nicht deinen Führerschein. Also bild dir ja nicht ein, ein Job würde daran etwas ändern.«
    »Hab ich dich vielleicht um den Schlüssel gebeten?«, konterte Cadan. »Oder um den Führerschein? Ich geh zu Fuß. Oder wenn's sein muss, nehm ich das Rad. Mir ist egal, wie das aussieht. Heute bin ich ja auch mit dem Rad hingefahren.«
    Wieder dieses Schnauben. Cadan wünschte sich, sein Vater würde einfach sagen, was er dachte, statt es mit Mimik und nicht sonderlich subtilen Lauten auszudrücken. Hätte Lew Angarrack geradeheraus gesagt: »Du bist ein Versager, Junge«, dann hätte Cadan wenigstens etwas gehabt, worüber er mit ihm streiten konnte: sein Versagen als Sohn gegenüber Lews andersgeartetem Versagen als Vater. Aber Lew wählte immer den indirekten Weg, nämlich den des Schweigens, vielsagender Atemgeräusche oder, wenn gar nichts anderes half, den Vergleich zwischen Cadan und seiner Schwester: der heiligen Madlyn, einer Weltklassesurferin auf dem Weg nach ganz oben. Jedenfalls bis vor Kurzem.
    Cadan bedauerte seine Schwester um das, was ihr passiert war, aber ein kleiner, hässlicher Teil in ihm jauchzte vor Freude. Für ein so kleines
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