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Djihad Paradise: Roman (German Edition)

Djihad Paradise: Roman (German Edition)

Titel: Djihad Paradise: Roman (German Edition)
Autoren: Anna Kuschnarowa
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Fallout eurer eigenen Kultur.
    Ich marschiere weiter und plötzlich frage ich mich: Wie viele Schritte geht eigentlich ein Mensch? Ich meine – wie viele Schritte geht er, bis er stirbt?
    Die Menge teilt sich und schwappt um mich herum und da erst merke ich, dass ich stehen geblieben und allen im Weg bin. Aus den offenen Türen des Alexa dringt heiße, abgestandene Kaufhausluft. Sie steigt auf aus den ranzigen Fettpfützen der niemals müden Fritteusen, aus den Hautfalten, den Körperhöhlen der Adipösen, all der Fettsüchtigen mit den Super-Special-Something-Whoppern in XXL-Gesichtern auf XXL-Körpern, dünstet aus all dem Plastik, das das andere Plastik dreimal umgibt. Aus den hippen Klamotten Phenoldünste, aus feuchten Haaren Nasser-Hund-Geruch, aus den Zehn-Quadratmeter-Parfümerien Zehntausend-Düfte-Kakophonien mit einer Kotbasisnote vom öffentlichen Klo. So, genau so riecht er, der Westen.
    Obwohl sich mein Magen schon wieder auflehnt, zwinge ich mich, meinen Fuß über die Schwelle zu setzen. Ich darf mich jetzt nicht auffällig verhalten. Es fühlt sich seltsam an: Die Schritte in diese Hölle sind meine letzten. Meine. Letzten. Schritte. Obwohl ich keine tödliche Krankheit habe, werde ich weniger gegangen sein als die meisten anderen. Aber – meine Schritte werden einen Abdruck hinterlassen. Einen großen. Eine Warnung.
    Mit der Rolltreppe fahre ich nach unten und positioniere mich in der Mitte des Gebäudes. Und dann ist es so weit. Ich habe eine Botschaft, eine tödliche Botschaft. Seid euch bloß nicht zu sicher. Das ist es, was ich noch sagen wollte. Nein, was Djihad Paradise ihnen sagen will durch mich.
    Meine Hände beginnen zu zittern. Eiskalt sind sie und Schweiß klebt an ihren Handflächen. Kalter Schweiß. Der Schweiß der Gladiatoren, der Schweiß der Gotteskrieger, der Schweiß der Märtyrer, denn ein Märtyrer ist nur der, der bereit ist, für seine Sache zu sterben. Und ich, Abdel Jabbar Shahid, bin bereit. Der Sprengstoffgürtel, der um meine Brust liegt, ist bereit und ich muss ihn nur noch zünden. Zehn, neun, acht … zero und herzlich willkommen in Djannah, im Paradies. Alles ist bereit.
    Fast …
    Nur Julian Engelmann, dieser gottlose Kafir, dieser Ungläubige, der ich bis vor drei Jahren war, dieser Loser, ist nicht bereit. Er hat Angst. Eine verdammte Scheißangst, wie er sie noch nie verspürt hat, eine Angst, die größer ist als in Waziristan, als die Bombe aus der Drohne direkt neben ihm eingeschlagen war und seinen Geistesbruder zerfetzt hat.
    Ich summe ein Nashid, um mich zu beruhigen, um Julian in die Flucht zu schlagen, um endlich ein richtiger Shahid zu sein.
    Der Nashid wirkt. Ich komme wieder runter. Ein Nashid ist die schönste Musik der Welt. Ohne Instrumente ist sie und nur für Allah. Und ich weiß, wenn die Bombe hochgeht, wird es nur ein kurzer Moment des Schmerzes sein. Und was ist schon so ein bisschen Schmerz gemessen an der Djannah, dem Paradies? Es wartet auf mich. Das ist mein Lohn – und der Lohn all der Zionisten und Kreuzzügler und der Freunde Amerikas ist nichts als das Feuer der Hölle. Ich atme noch einmal tief durch. Julian Engelmann schweigt.
    Jetzt. Jetzt bin ich bereit. Jetzt bin ich wieder Abdel Jabbar Shahid. Und nur Abdel Jabbar Shahid …

Meine Eltern sind der Meinung, ich hätte mich gefangen, hätte mein Leben wieder im Griff. Alles schön, alles gut, alles wie vorher. Dabei ist nichts, nichts, nichts, wirklich rein gar nichts wie vorher. Und ich – ich bin auch nicht mehr wie vorher. Bin nicht mehr Shania, aber erst recht nicht mehr richtig Romea. Ich weiß nicht, wer ich bin, und das Beste, was ich momentan von mir sagen kann: Ich funktioniere. Und nur weil ich funktioniere, bin ich jetzt hier. Auf der Jagd nach Weihnachtsgeschenken wie alle.
    Was mir Weihnachten bedeutet? Nicht viel. Nicht im eigentlichen Sinn. Aber Weihnachten gehört zu diesem Land, das mir entglitten ist. Dieses Land heißt Damals oder genauer Damals-als-noch-alles-einigermaßen-in-Ordnung-war, und ich würde gerne dahin zurückkehren, aber ich kann nicht.
    Ich treibe dahin im Gewühl wie ein Boot ohne Ruderer und kaufe Geschenke für meine Familie in der Hoffnung, dass dies der Anker ist, den ich am Ufer der Vergangenheit auswerfen kann, um dort wieder an Land zu gehen. Aber ehrlich gesagt, meine Hoffnung hält sich in Grenzen. Seit Julian nicht mehr da ist, hält sich überhaupt alles in Grenzen. Außer meiner Leere, die ist fast grenzenlos.
    In einer der
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