Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Djihad Paradise: Roman (German Edition)

Djihad Paradise: Roman (German Edition)

Titel: Djihad Paradise: Roman (German Edition)
Autoren: Anna Kuschnarowa
Vom Netzwerk:
aufdrösele und Pas zu Mas Stunden addiere, obwohl wir manchmal auch gemeinsam etwas gemacht haben, fällt die Elternzeitbilanz echt mies aus. Und das, obwohl ich inzwischen sechzehn bin und meine Nanny nur so lange bei uns war, bis ich in die Schule gekommen bin. Und als Theresa geboren worden war, da gab es eine neue Nanny. In einem neuen Land.
    Manchmal fragte ich mich echt, wozu meine Eltern uns in die Welt gesetzt hatten, wenn sie ja doch nie da waren. Und auch wenn wir mal Zeit gemeinsam verbrachten, war sie vermessen, abgezirkelt wie mit der Stechuhr. Die vorbeirauschende Zeit war das ständig über uns pendelnde Damoklesschwert und auch Mas omnipräsente gelbe Zettelchen konnten unsere Familie nicht einfach so zusammenkleben. Sie konnten sie nur organisieren. Aber unsere Familie wurde ja ohnehin geführt wie ein durch und durch straff strukturiertes und hyperoptimiertes Unternehmen. Meine Eltern hatten sich praktisch outgesourced, weil, wenn sie nicht bei uns waren, sie so viel mehr Geld verdienten, dass davon ein Gärtner, die Nanny und die Putzperle bezahlt werden konnten und die zwei Autos und die Urlaube, in denen sie doch immer wieder auf ihre Geschäftshandys schielten, und jede Menge anderer Kram gekauft werden konnte, den wir nicht brauchten, für unser riesiges, meistens verwaistes Haus, das im Prinzip nutzlos, weil irgendwie tot war. Allein, um dort, wenn überhaupt, zu schlafen, fand ich vierhundert Quadratmeter für vier Leute maßlos übertrieben.
    Und auch Theresa und ich sollten optimiert werden, damit wir in der globalen Welt bestehen konnten. Englisch lernten wir schon im Kindergarten und ab der fünften Chinesisch. Außerdem wurden unser Musikverständnis im Geigenunterricht und unser Körpergefühl im Zusatzsportunterricht trainiert. Herumkarren musste uns Theresas Nanny und eigentlich war sie mehr so eine Art Chauffeur. Theresa joggte noch brav im Hamsterrad, aber ich hatte irgendwann alles hingeschmissen, denn die Work-Life-Balance ließ ja wohl echt zu wünschen übrig. Ich wollte nicht länger Chinesisch lernen und meine Körperbeherrschung trainieren, und ich wollte auch nicht länger – Musikverständnis hin oder her – auf der Geige herumkratzen. Nur Kickboxen wollte ich weitermachen, auch wenn meine Eltern das für meine verzichtbarste Aktivität hielten. Ehrlich gesagt wollte ich ansonsten einfach nur meine Ruhe, irgendwelche Bücher lesen und daneben eine Tasse Kaffee, rausgehen, Leute kennenlernen und in irgendwelche abgefahrenen Länder reisen, in denen man einfach so sein Ding machte und ein Termin »plus/minus zwei Stunden« bedeutete, und ich wollte ziellos herumstreunen und mir das Viehzeugs der Berliner Seen anschauen. Gut, das war zwar nicht das Meer, aber es war Wasser, und die Welt in ihm fand ich schon immer geheimnisvoll und faszinierend und deshalb wollte ich zum Entsetzen meiner Eltern auch schon immer Meeresbiologin werden.
    Und ich wünschte mir, dass es einmal wieder einen Tag geben würde, für den nicht schon drei Wochen vorher feststand, wie er ablaufen würde und an dem wir alle beieinander waren. Einen Tag, an dem am frühen Morgen alle Handys und Uhren zertrümmert und verbrannt wurden und wir einfach Zeit hatten. Einen Tag, an dem es nur den Augenblick geben würde und alles offen war, was kommen würde.
    »Möchtest du vielleicht lieber Reitunterricht nehmen, wenn es dir bei der Rhythmischen Sportgymnastik nicht gefällt?«, hatte Pa gefragt, als ich ihm mitgeteilt hatte, dass ich keine Lust mehr hatte, körperbeherrschte Verrenkungen zu machen.
    »Nein«, hatte ich geantwortet. »Will ich nicht.«
    »Na, aber alle Mädchen in deinem Alter wünschen sich doch nichts sehnlicher, als reiten zu dürfen.«
    Ich hatte meine Zweifel daran, dass tatsächlich alle Mädchen in meinem Alter sich nichts sehnlicher wünschten als das. Es soll ja sogar Mädchen geben, die es, wenn sie klein waren, ablehnten, mit Puppen zu spielen. Zum Beispiel mich. Ich verdrehte die Augen.
    »Hör zu, Pa. Ich weiß, ihr meint es gut, aber dieser ganze Zusatzscheiß stresst mich einfach. Ich will weder turnen noch reiten, noch Chinesisch lernen. Ich will einmal die Woche kickboxen und Schluss.«
    Pa seufzte. »Aber Romea, Schatz«, sagte er. »Warum willst du denn nicht wenigstens mit Chinesisch weitermachen? Ich sage dir, das ist die Sprache der Zukunft. Damit steht dir die Welt offen.«
    Und ich antwortete: »Weil die meisten Chinesen auch Englisch können und weil ich sechzehn bin
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher