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Dinotod: Tannenbergs vierter Fall

Dinotod: Tannenbergs vierter Fall

Titel: Dinotod: Tannenbergs vierter Fall
Autoren: Bernd Franzinger
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bekommen.
    Tannenberg hatte unterdessen die Spitze dieses makaberen Zugs erreicht. Er drängte sich an einigen älteren Frauen vorbei, rannte noch ein paar Meter voraus und blieb plötzlich stehen. Aus Erfahrung wusste er, dass es in solchen aufgeheizten Situationen eigentlich keinen Sinn machte, an die Vernunft dieser Menschen zu appellieren und sie um Zurückhaltung – in diesem Falle wohl passender: um Zurückbleiben – zu bitten, trotzdem probierte er es.
    „Sofort stehen bleiben!“, presste er krampfhaft aus seinen pumpenden Lungen heraus. Dabei zückte er seinen Dienstausweis, warf ihn der auf ihn zuströmenden Menge entgegen. „Bleiben Sie stehen! Dies ist eine Polizeiaktion. Wenn Sie ...“
    Schon hatte ihn die brodelnde Masse erreicht und drohte ihn und seinen Mitarbeiter in ihren Moloch zu ziehen. Tannenberg dachte einen Augenblick daran, einen Warnschuss in die Luft abzugeben. Ließ es dann aber angesichts der unabsehbaren Wirkung auf den Amokläufer doch besser bleiben. Schauß zerrte an seiner Jacke. Beide sprinteten wieder los, überholten noch ein paar kleinere Kinder, die neugierig der Prozession vorauseilten.
    Nach einer scharfen Rechtskehre erblickten sie in etwa 50 Metern Entfernung den Gesuchten. Er kletterte gerade über den silbernen Metallzaun, der auf dem mächtigen Sandsteinfelsen wie ein Balkongeländer angebracht war.
    Ohne nachzudenken rief ihm Tannenberg entgegen: „Machen Sie keinen Blödsinn. Lassen Sie uns miteinander reden!“
    Der Mann mit dem blutverschmierten Gesicht stand auf der anderen Seite des Zauns auf einem etwa fünfzig Zentimeter breiten Felsvorsprung. Er hielt sich mit der linken Hand am verzinkten Handlauf des Geländers fest. Als er den Menschenauflauf erblickte, kam plötzlich Leben in die lethargische Erscheinung.
    „Halt! Keinen Schritt mehr weiter! Oder ich springe!“, brüllte er in Richtung der Schaulustigen.
    Nun geschah etwas Wundersames: Wie auf Kommando blieben alle sofort stehen. Tannenberg und Schauß in etwa zehn Metern Abstand, die neugierigen Gartenschaubesucher weitere zehn Meter dahinter. Plötzlich war es totenstill. Dieses Szenario erweckte den Eindruck, als sei man im Theater und das Publikum harre stumm und erwartungsvoll dem Beginn der Vorstellung.
    „Na, wenigstens scheint er keine Waffe dabei zu haben,“ flüsterte Schauß, der direkt neben seinem Vorgesetzten stand.
    „Gott sei Dank.“
    Was soll ich jetzt bloß machen?, schoss es Tannenberg ins Bewusstsein. Ich bin doch kein Psycho. Ich hab doch überhaupt keine Ausbildung für so was. Verdammt, wenn jetzt bloß die Eva da wäre.
    Jammer nicht, tu endlich etwas!, forderte seine innere Stimme.
    Ja, und was?
    Irgendwas. Verhalt dich so, wie wenn das ein Freund von dir wäre oder dein Bruder, der auf einem hohen Felsen steht und Selbstmord begehen will, wenn du ihm nicht hilfst. Tu endlich was!
    Dieser Appell wirkte.
    „Mensch, Junge, mach jetzt bloß keinen Quatsch“, sprudelte es aus Tannenberg heraus. „Es gibt doch für alles eine Lösung. Komm erst mal wieder über’n Zaun. Dann suchen wir gemeinsam nach einer Lösung. Ich helfe dir. Ich versprech’s dir. Egal, was passiert ist.“
    Während er die letzten beiden Sätze ausgesprochen hatte, war er zwei Schritte nach vorne gegangen. Schauß hatte sich synchron dazu mitbewegt.
    „Bleib stehen. Noch einen Schritt und ich springe!“
    „Ja, entschuldige, das ging irgendwie automatisch. Ich will dir doch nur helfen.“
    „Mir kann man nicht mehr helfen“, gab der Mann in merklich gedämpfterer Lautstärke zurück.
    „Natürlich kann ich dir helfen. Man kann immer einem Menschen helfen. Egal, in welch scheinbar auswegloser Situation er sich zu befinden meint.“
    „Mir nicht.“
    „Doch, bestimmt, du musst dir nur helfen lassen.“
    Soll ich jetzt oder soll ich nicht? Was ist, wenn’s schiefgeht?, zermarterte sich Tannenberg das Hirn.
    Seine innere Stimme nahm ihm die schwierige Entscheidung ab: Überleg nicht lange! Mach’s endlich!
    „Was ist denn überhaupt passiert?“, hörte er sich plötzlich fragen.
    Der Mann führte die Hand, mit der er sich die ganze Zeit über festgehalten hatte, zu seinem Kopf, fuhr sich damit über das blutverschmierte Gesicht. Plötzlich begann er leicht zu taumeln, drohte hinab in die Tiefe zu stürzen.
    „Halt dich wieder fest! Auf, auf, greif zu!“, schrie Tannenberg entsetzt. Reflexartig wollte er gerade losstürmen, als der Mann im dunkelblauen Jogginganzug die Augen aufschlug und
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