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Dimension 12

Dimension 12

Titel: Dimension 12
Autoren: Robert Silverberg
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Hallinan ein auffallend warmherziger und einsichtiger Mensch sei. Und Heyer, der noch nie ein freundliches Wort über einen Mitmenschen geäußert hatte, gab ihr ausnahmsweise recht.
    Und später, als Leslie Erwin ihm spontan gestand, wie sehr er unter den Seitensprüngen seiner Frau litt, sagte Martha Weede zu Lys Erwin: »Er ist ungemein gütig – beinahe wie ein Heiliger!«
    Und während der kleine Harold Dewitt seiner Angst Luft machte, sein neunjähriger Sohn Lonny könnte geistig etwas zurückgeblieben sein, äußerte Leslie Erwin Daisy Moncrieff gegenüber: »Der Mann muß Psychiater sein. Herrrgott noch mal, der versteht es, die Leute zum Sprechen zu bringen. Innerhalb von zwei Minuten habe ich vor ihm ausgepackt, was mich bedrückt. Und jetzt ist mir wesentlich leichter.«
    Mrs. Moncrieff nickte. »Das kenne ich. Ich war doch heute früh bei ihm, um ihn einzuladen, und wir haben uns kurz auf seiner Veranda unterhalten.«
    »Nun, sollte er Psychiater sein, so wird er hier ein reiches Arbeitsfeld vorfinden«, meinte Erwin. »Es gibt doch keinen unter uns, der nicht unter einer heimlichen Neurose leidet. Nehmen Sie doch nur zum Beispiel Heyer dort drüben – der hat seine Magengeschwüre schließlich auch nicht bekommen, weil er restlos glücklich ist. Und auch die hoffnungslos beschränkte Martha Weede, die mit einem Universitätsprofessor verheiratet ist, der beim besten Willen nicht weiß, worüber er mit ihr reden könnte. Und meine Frau Lys ist natürlich auch eine reichlich überdrehte Person.«
    »Jeder von uns hat seine Probleme«, seufzte Mrs. Moncrieff. »Aber ich fühle mich bedeutend wohler, seit ich mit Mr. Hallinan gesprochen habe. Ja, wirklich, bedeutend wohler.«
    Mr. Hallinan unterhielt sich inzwischen mit dem Architekten Paul Jambell, dessen hübsche junge Frau im Springfield Hospital lag und langsam an Krebs zugrunde ging. Mrs. Moncrieff konnte sich gut vorstellen, worüber Jambell und Mr. Hallinan sprachen.
    Oder genauer gesagt, worüber Jambell sprach – denn Mr. Hailinan selbst verhielt sich schweigsam. Aber dafür hatte er eine unvergleichliche Art zuzuhören! Wohlige Wärme durchrieselte sie. Daran waren nicht nur die Cocktails schuld. Sie fand es köstlich, jemanden wie Mr. Hallinan in New Brewster zu wissen. Jede Gemeinschaft konnte sich zu einem so taktvollen, noblen und gütigen Mann nur gratulieren.
    Als Lys Erwin am nächsten Morgen erwachte – zur Abwechslung einmal allein –, hatte sich ihre sonderbare Ausgeglichenheit vom Vorabend zum Großteil verflüchtigt.
    Ich muß mit Mr. Hallinan reden, dachte sie.
    Sie hatte am Vorabend zwei angedeutete und einen unverblümten Antrag ausgeschlagen, war nach Hause gekommen und hatte es sogar fertiggebracht, ihrem Mann höflich zu begegnen. Und Leslie war höflich zu ihr gewesen. Das grenzte beinahe an ein Wunder.
    »Dieser Hallinan ist ein Prachtmensch«, hatte er gesagt.
    »Du hast dich auch mit ihm unterhalten?«
    »Ja. Ich habe ihm eine Menge erzählt. Zuviel vielleicht. Aber ich fühle mich richtig befreit.«
    »Komisch, bei mir ist es genauso. Ein merkwürdiger Mann, wie? Mischt sich unters Volk und saugt alles auf, was die Leute bedrückt. Gestern müssen ihm die Neurosen der halben Stadt aufgepackt worden sein.«
    »Aber sie haben ihn nicht deprimiert. Im Gegenteil, er blühte richtig auf, je mehr sich die Leute bei ihm ausweinten. Wir übrigens auch. Du hast seit Wochen nicht mehr so gelöst gewirkt wie heute, Lys.«
    »Ich fühle mich auch gelöst. Als wäre alle Widerborstigkeit und Härte aus mir fortgeschwemmt.«
    Dieses Gefühl hielt auch noch am nächsten Morgen an. Lys erwachte, blinzelte und betrachtete das leere zweite Bett. Leslie war längst unterwegs zur Innenstadt. Sie mußte unbedingt nochmals mit Hallinan sprechen. Sie war nicht alles losgeworden. Ein Rest des Giftes steckte noch in ihr.
    Sie zog sich an, frühstückte und verließ das Haus.
    Mr. Hallinan kam in einem blaukarierten Morgenmantel zur Tür. Er sah angegriffen aus. Beinahe verkatert, fand Lys. Die Lider seiner dunklen Augen waren verquollen, und über seine Wangen zogen sich Bartstoppeln.
    »Ja. Mrs. Erwin?«
    »Oh – guten Morgen, Mr. Hallinan. Ich… ich wollte Sie besuchen. Hoffentlich störe ich Sie nicht – das heißt…«
    »Schon gut, Mrs. Erwin.« Sie war sofort beruhigt. »Leider bin ich aber von gestern abend noch sehr müde und fürchte, im Augenblick kein aufmerksamer Gesellschafter zu sein.«
    »Aber Sie haben mir doch versprochen,
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