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Diktator

Diktator

Titel: Diktator
Autoren: Stephen Baxter
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habe. Hör zu und merk es dir. Auch deine Söhne und deren Söhne sollen es auswendig lernen …«
    »Mary«, flüsterte Mackie. »Altenglisch. Sprich zu Egilsson. Sorg dafür, dass er dich durch Eadgyth hört.«
    »Ja … Egilsson. Orm Egilsson. Hīerst þū mē? Bist þū ðær? Bist þū ðær , Orm Egilsson? Orm Egilsson! Hlyston ond mune, for þon ic þū recce. Hlyston ond mune, ond giefst to þīn sunum ond to hira sunum …«

EPILOG
JULI 1943

    »Mein Sohn hat das nicht verdient, George.«
    »Ich weiß, Mary, ich weiß.«
    »Praktisch vom letzten Schuss des Konflikts getötet zu werden.«
    »Oh, der Krieg ist noch nicht vorbei, Mary. Und, sehen Sie … nun ja … er ist jetzt bei meiner Hilda. Seiner Hilda. Das ist doch was, oder?«
    »Glauben Sie das wirklich?«
    »Ich bin dazu erzogen worden, es zu glauben. Und wenn ich mir wirklich Mühe gebe, kann ich es vielleicht wieder glauben.«
    »Tja, dann werden Sie’s mir beibringen müssen.«
    »Mary – George – bitte.«
    »Tom? Was ist?«
    »Ich weiß, Sie wollen mich nicht bei sich haben. Aber ich muss Ihnen das hier zeigen …«
    Wenn er ihre Stimmen hören konnte, dachte Ben, dann musste er im Aufwachen begriffen sein. Wenn er aufwachte, hatte er geschlafen.
    Und wenn er geschlafen hatte, musste er wieder eine von Julias grausigen historischen Veränderungen ausgelöst haben. Er war gestorben und wiedergeboren worden. Noch einmal . Diese tief sitzende Furcht traf
ihn wie ein Stich. Es war eine Furcht vor der Vergänglichkeit des Lebens, vor seiner Unbeständigkeit, seiner Zerbrechlichkeit. Eine Furcht, als hinge man über einer mehrere hundert Meter hohen Klippe in der Luft.
    Er schob sie beiseite und ließ die Augen geschlossen. Der Schlaf schwebte über ihm, eine lockere Decke. Vielleicht gelang es ihm mit seiner Willenskraft, ihn zurückzuholen und erneut von der Welt wegzufallen.
    Doch konnte er seine Träume unter Kontrolle behalten, wenn er wieder einschlief?
    »Mary. Schauen Sie. Das sind Ihre Notizen – sehen Sie, Ihre Abschrift von Eadgyths Testament aus Geoffreys Lebenserinnerungen, in Ihrer eigenen Handschrift . Sehen Sie?«
    »Sie hat sich verändert. Sie lautet jetzt anders als zuvor. ›Schickt den Täuberich nach Westen! Oh, schickt ihn nach Westen!‹ Nach Westen, nicht nach Osten .«
    »Die Geschichte ist um uns herum erzittert, Mary. Die Vergangenheit hat sich verändert.«
    »Und dennoch erinnern wir uns.«
    »Und dennoch, ja. Vielleicht müssen wir hundert Jahre lang an Trojans Webstuhl herumbasteln und noch länger Theorien und Hypothesen aufstellen, bevor wir das alles auch nur ansatzweise verstehen …«
    Ben hatte ein gutes Gedächtnis. Das hatte er schon immer gehabt. Es war von Julias Hypnosen und den mnemonischen Bändern nur noch verbessert worden. Er glaubte sich an jedes Wort der die Zeit manipulierenden, holprigen Versbrocken zu erinnern, die sie ihm eingetrichtert hatte, an jeden einzelnen ihrer Versuche,
die Geschichte zu verändern. Selbst an die »Probeläufe«, wie sie sie genannt hatte.
    Und Marys Dünkirchen-Gegengeschichte hatte ihn fasziniert. Er hatte reichlich Zeit gehabt, darüber nachzudenken, während er in seinem Glaskasten lag.
    Was wäre geschehen, wenn die Deutschen im Frühjahr 1940 aus irgendeinem Grund ihre Überlegenheit nicht ausgenutzt, sondern die BEF verschont hätten? Schließlich war er zu dem Schluss gelangt, dass es kleine Wellen der Veränderung gegeben hätte, eine Kette anderslautender Entscheidungen auf beiden Seiten. Menschen wären gestorben. Natürlich wären sie gestorben. Ben kannte die Nazis. Wenn es ihnen nicht gelungen wäre, ein Stück von England zu erobern, hätten sie ihre Ziele auf andere Weise verfolgt – mit Terror wahrscheinlich, mit Bomben auf London und die anderen Städte, einem Blitzkrieg gegen Zivilisten. Menschen wären gestorben. Aber nicht dieselben Menschen. Nicht Hilda Tanner, zum Beispiel.
    Und Gary Wooler vielleicht auch nicht. Gary, der sein Versprechen gehalten hatte, Ben zu retten, Gary, der nicht um eine junge, von einem Nazi-Verbrecher abgeschlachtete Ehefrau hätte trauern müssen. Und er, Ben, hätte nicht in diesem Glaskasten liegen und mit anhören müssen, wie Gary erschossen wurde, ohne sein Leben gelebt zu haben. Gary, den Ben mehr geliebt hatte als irgendjemanden sonst. Er brauchte nur einzuschlafen und von einem exzentrischen Astrologen an Hitlers Hof zu träumen. Wenn er das tat, würde Gary vielleicht all dieser Schmerz erspart
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