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Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Titel: Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
Autoren: Lionel Shriver
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Wandhalterung abzuschrauben, schraubte er sie wieder fest. Beschwichtigend schloss er seinen Zahnbürstengriff wieder an das Aufladegerät an und kramte eine manuelle Zahnbürste aus dem Medizinschränkchen. Er würde sich an den technologischen Rückschritt gewöhnen müssen, was bestimmt auf eine gewisse Weise, die er nicht ganz festmachen konnte, gut für die Seele war.
    Es war nie seine Absicht gewesen, einfach die Zelte abzubrechen und das Weite zu suchen, sich ohne Vorankündigung oder Erklärung von seiner Familie loszumachen. Das wäre ja grausam, oder: noch grausamer. Er würde sie zumindest nicht ganz vor vollendete Tatsachen stellen, nicht einfach an der Haustür noch einmal winken. Offiziell würde er ihnen die Wahl geben, wofür er, ehrlich gesagt, einiges hingeblättert hatte. Es war möglich, dass er nichts als eine Illusion gekauft hatte, die für ihn persönlich allerdings einen unschätzbaren Wert besaß. Also hatte er nicht nur ein Ticket, sondern gleich drei gebucht. Ohne Rückerstattung. Und selbst wenn er mit seiner Intuition total danebenlag und Glynis überraschend zusagte, würde natürlich Zach noch immer nichts davon halten. Aber der Junge war fünfzehn Jahre alt, und apropos Rückentwicklungen: Ausnahmsweise mal würde ein amerikanischer Teenager machen, was man ihm sagte.
    AUS LAUTER ANGST, auf frischer Tat ertappt zu werden, hatte er am Ende zu viel Zeit. Es waren noch ein paar Stunden, bis Glynis nach Hause käme, und der Samsonite-Koffer war voll. Angesichts der Verwirrung über die Stecker und Stromspannungen hatte er noch ein paar manuelle Werkzeuge und ein Schweizer Messer mit eingepackt; von einer Flachrundzange hatte man im üblichen Krisenfall mehr als von einem Blackberry. Nur wenige Hemden, ein paar wollte er zur Auswahl haben. Oder gar kein Hemd? Ein paar Dinge, von denen ein Mann seines Berufsstands wusste, dass sie zwischen zufriedenstellender Unabhängigkeit und der ganz großen Katastrophe entscheiden konnten: Klebeband; diverse Schrauben, Bolzen und Unterlegscheiben; Silikonfett; Dichtungsmittel; Gummibänder ( Elastik bänder, wie sein Vater gesagt hätte, aus New Hampshire und von der alten Schule); eine kleine Rolle Draht. Eine Taschenlampe für Stromausfälle und einen Vorrat an Mignonbatterien. Einen Roman, den er sich genauer hätte aussuchen sollen, wenn er schon nur einen mitnahm. Ein Wörterbuch Englisch – Suaheli, Malariatabletten, Insektenschutz. Rezeptpflichtige Cortisonsalbe gegen das hartnäckige Ekzem an seinem Fußgelenk, wobei in der Tube nicht mehr sehr viel drin war.
    Um auf Nummer sicher zu gehen, sein Merrill-Lynch-Scheckheft. Er sah sich selbst ungern als berechnenden Charakter, aber es stellte sich jetzt als günstig heraus, dass er dieses Konto immer nur auf seinen Namen geführt hatte. Er konnte – würde – Glynis natürlich anbieten, ihr die Hälfte zu überlassen; sie hatte keine zehn Cents davon selbst verdient, aber sie waren verheiratet, und Gesetz war Gesetz. Er würde sie allerdings warnen, dass sie selbst mit mehreren Hunderttausend Dollar in Westchester nicht weit käme und über kurz oder lang verpflichtet wäre, nicht mehr »ihre Arbeit«, sondern die eines anderen machen zu müssen.
    Er stopfte den Samsonite-Koffer mit Zeitungspapier aus, damit das bisschen kläglicher Krimskrams im Gepäckraum der British-Airways-Maschine nicht hin und her klapperte. Dann versteckte er ihn in seinem Kleiderschrank und deckte ihn vorsichtshalber mit einem Bademantel zu. Ein fertig gepackter Koffer auf dem Bett würde Glynis weitaus mehr beunruhigen als eine fehlende Zahnbürste.
    Shep machte es sich zur Stärkung mit einem Bourbon im Wohnzimmer bequem. Eigentlich hatte er nicht die Gewohnheit, den Abend mit härteren Sachen einzuläuten als mit einem Bier, Gewohnheiten aber hätten die Dinge an diesem Abend auf unbestimmte Zeit verzögert. Er legte die Füße hoch, ließ den Blick durch das nett, aber billig möblierte Zimmer schweifen und bedauerte es bei keinem einzigen Gegenstand, dass er ihn würde zurücklassen müssen – abgesehen von dem Zimmerspringbrunnen. Über den Abschied von den Dekokissen oder dem gläsernen Wohnzimmertisch war er regelrecht froh. Der Zimmerspringbrunnen hingegen, der auf dem Tisch vor sich hin blubberte, hatte ihn immer mit einem ausgeprägten Mittelschichtsbegehren erfüllt, mit dieser Sehnsucht nach dem, was man ohnehin schon besitzt. Er fragte sich, einfach nur so, ob der Springbrunnen, eingepackt in das
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