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Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)

Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)

Titel: Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)
Autoren: Christiane zu Salm
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der Lebensabschnitt, der mich bis heute geprägt hat. Öfter lese ich Geschichten über Vertreibung, aber nie wird das Sudetenland erwähnt. Das wundert mich, weil es doch eine furchtbare Geschichte ist, die man Millionen von Menschen zugemutet hat. Damit meine ich aber nicht so sehr die beschriebene Zeit der Ungewissheit und des Überlebenskampfes, sondern den unumkehrbaren Verlust meiner Heimat.
    Ich hänge sehr an ihr, das habe ich immer wieder festgestellt. Zu DDR -Zeiten durften wir keine Verbindung zu unserer Heimat haben, weil wir seit der Konferenz in Potsdam als Umsiedler und nicht als Vertriebene galten. Doch trotzdem fand ich einen Weg, nach Hause zu kommen. Ich war in einem Sportverein, mit dem wir gemeinsame Wanderungen machten. Wenn wir in Tschechien waren, habe ich mich mitunter von der Gruppe getrennt und bin in meine Heimatstadt Bensen gegangen. Beim ersten Mal hatte ich das Gefühl, ich traumwandele, das kann alles gar nicht wahr sein, ich bin zu Hause. Und dieses Gefühl ist eigentlich auch bis nach der Wende geblieben, wo wir einmal im Jahr unsere Heimattreffen hatten.
    Was Heimat für mich bedeutet, frage ich mich heute noch. Es muss das Glück sein, das ich als Kind bei den gemeinsamen Erlebnissen mit meinen Eltern empfand. Sie sind sehr viel mit mir gewandert, im Sommer wie im Winter. Die Gegend um Bensen ist landschaftlich wunderschön. Dort ist das nordböhmische Mittelgebirge, so ein sanft ansteigendes Land mit viel, viel Laubwald, Buchen, Eichen und Fichten. Und meine Eltern haben dann gesagt, das ist der und der Berg, und das ist der und der Fluss, und was meinst du denn, müssen wir rechts- oder linksrum gehen? Das sind so Erinnerungen von schöner Natur, Lernen und Behütetsein, so eine Mischung.
    Die Sonntagnachmittage bei unseren Heimattreffen waren dann die Zeiten, wo jeder in sein Wohnviertel in der Stadt gegangen ist. Noch einmal tief durchatmen überall. Wir haben dann Dialektworte rausgekramt, die wir lange nicht mehr angewendet hatten. Renst en immer noch, oder ist’s wieder dreige? Regnet es immer noch, oder ist es wieder trocken? Das hat auch immer Spaß gemacht.
    Zurück nach Bensen wollten wir nicht mehr, denn allein unter den Tschechen zu sein wäre nicht mehr unsere Heimat gewesen. Außerdem hatten wir ja inzwischen eine neue Existenz in Deutschland aufgebaut. Für Bad Dürrenberg habe ich auch Heimatgefühle entwickelt, ich meine, ich lebte sechsundsechzig Jahre dort.
    Dass ich meine zweite Heimat nun auch verloren habe, merke ich vor allem jetzt, wo ich nicht mehr da sein kann. Aber neulich rief eine Nachbarin an und sagte: Wir bedauern, dass Sie nicht mehr da sind, aber wir freuen uns über das, was Sie angepflanzt haben. Das waren zwei Birken, die ich vor über dreißig Jahren vor dem Haus eingesetzt hatte. Die eine ist gediehen wie die andere, jetzt sind sie größer als der Wohnblock.
    Ach, als Kind sind wir sonntags immer im Birkenwald spazieren gegangen, das hat mir immer so gefallen. Die weißen Stämme und das Hellgrün, davon war ich immer ganz begeistert. Muddel würde sagen…, oder: Mein Vater hätte das so gemacht…, das sind Worte, die mir dann dabei einfallen. Und dann merke ich, meine Eltern und Großeltern, alle sind in Wirklichkeit nicht verstorben. Sie sind nur nicht da, aber sie leben weiter in meinem Kopf und in meinem Herzen. Ich glaube, ich werde sie nach dem Tod wiedersehen. Was für ein Trost.
    Gustav Roth, 81 Jahre, Krebs

Ich will nichts hinterlassen, weder mein Geld noch eine Botschaft. Außer dieser einen: M acht euch die letzten Tage schön!
    Ich bin gerne im Pflegeheim. Da wollte ich immer hin, sobald klar sein würde, dass es meinem Ende entgegengeht. Das habe ich meinen Kindern auch immer gesagt, habe es sogar schriftlich niedergelegt. Und jetzt bin ich hier. Hier falle ich meiner Familie nicht zur Last und bin selber entlastet. Muss mich um nichts mehr kümmern. Keine Betten mehr frisch beziehen, keine Wäsche mehr machen, nichts mehr einkaufen, nichts mehr kochen, keine Glühbirne mehr auswechseln. Wunderbar. Eigentlich ist es wie im Hotel. Ich finde, das ist auch das Mindeste, was man sich gönnen sollte, bevor man stirbt. Hierfür gebe ich gerne mein Erspartes aus. Statt es meinen Kindern zu vererben. Besser könnte es doch nicht angelegt sein.
    Außerdem habe ich hier Spaß mit den Mitbewohnern. Wir besuchen uns ständig gegenseitig in unseren Zimmern. Gehen kann hier keiner mehr so richtig, also rollen wir mit unseren Rollatoren
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