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Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)

Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)

Titel: Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)
Autoren: Christiane zu Salm
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Wenn man weiter kommen will als andere, dann muss man auch mehr tun als andere. Ich war immer sehr ehrgeizig.
    Als ich dann die Stelle bekam, die auch mit einer ordentlichen Gehaltserhöhung verbunden war, haben manche in der Firma gemunkelt, dass ich den Job nur bekommen hätte, weil ich lange, blonde Haare habe. Das hat mich schon geärgert, muss ich zugeben. Ich verstehe ja, dass ich nicht so aussehe, als hätte ich den Plusquamperfekt in fünf Sprachen drauf. Aber irgendwie ist es schon ungerecht. Dabei hat man es doch als hässlicher Mensch auch nicht leichter. Aber auch nicht schwerer. Ach, ich weiß auch nicht.
    Ja, und dann kamen die Kinder. Ich bin ein Arbeitstier, ich liebe meine Arbeit genauso wie meine Kinder. Das klingt vielleicht etwas hart, aber es ist die Wahrheit. Ich hoffe, ihr habt das nicht zu sehr gemerkt, Jana und Christof, dass ich immer so genervt war, wenn ihr ewig gebraucht habt, bis ihr morgens Zähne geputzt und endlich eure Jacken angezogen habt. Jeder einzelne Tag war eine Geduldsprobe für mich, als ihr noch kleiner wart. Ich weiß wirklich nicht, ob ich eine gute Mutter für euch war. Ich bezweifle es. Denn ihr werdet mir schon angemerkt haben, dass ich ganz oft viel lieber im Büro gesessen und meine To-dos erledigt hätte. Statt euch anzutreiben, mit euch über den Mathe-Hausaufgaben zu sitzen und zwangsgeduldig auf eure Antwort zu warten, bis ihr endlich im Kopf errechnet hattet, wie viel hundert durch vier ergibt. Mon Dieu, manchmal hat mich das innerlich zerrissen.
    Na ja, ich tröste mich damit, dass ihr wenigstens den Ehrgeiz von mir mitbekommen habt. Besonders du, Jana. Für Frauen ist es wichtig, dass sie ihre beruflichen Möglichkeiten ausschöpfen. Selbst wenn es ohne eine gute Ausbildung ist. Es ist doch immer noch tausendmal besser, am Kiosk Zeitungen und Zigaretten zu verkaufen, Empfangsdame zu sein oder Brezeln vor dem Museum anzupreisen, als nur Hausfrau zu sein. Und lieber eine unzulängliche Mutter, die arbeitet, als nur Mutter. So sehe ich das. Damit tröste ich mich in manchen Momenten über mein schlechtes Gewissen weg, dass ich nicht genug für euch da war.
    Diese Gedanken plagen mich jetzt besonders, wo ich es nicht mehr besser machen kann. Ich kann keine Zeit mehr mit euch nachholen. Meine Tanten haben mir immer gesagt: Genieße die Zeit mit deinen Kindern, solange sie noch klein sind. Sie kommt nie wieder. Das fand ich immer so einen blöden Spruch. Weil keine Zeit wiederkommt. Auch nicht die, in der die Kinder groß sind. Und zu jeder Zeit soll man dann auch noch sein eigenes Leben führen, an sich denken, Freundschaften pflegen, etwas für die Ehe tun. Wie soll das bloß alles zusammen gehen, ohne dass man irgendjemanden vernachlässigt?
    Ich möchte nicht über das Sterben reden, sondern lieber über mein Leben. Ich habe das bekommen, was ich wollte, nämlich den Posten der Chefsekretärin. Bleibt mir bitte wohlgesonnen, auch über meine Zeit hinaus.
    Maren Weiss, 55 Jahre, Leukämie
    verstorben im November 201*

Was Heimat für mich bedeutet, fr age ich mich heute noc h
    Immer wenn ich beim Heimattreffen einen kleinen Ausflug machte und mir die Stadt von oben anguckte, hatte ich ein tränendes und ein lachendes Auge. Wie schön ist unsere Heimat, dachte ich dann, wenn bloß der Scheißkrieg nicht gewesen wäre. Ja, am Ende meines Lebens erinnere ich unsere Vertreibung aus dem Sudetenland, weil sie mich nie ganz verlassen hat. Und weil ich möchte, dass sie nicht vergessen wird.
    Das Kriegsende war der ausschlaggebende Punkt. Ich war vierzehn Jahre alt und wohnte bei meinen Großeltern auf dem Bauernhof. Frühzeitig hörte ich ein Schreien, ein angstvolles Schreien, da wusste ich, jetzt müssen wir fort. Die Bauern durften mit dem Leiterwagen weg, aber was lädt man auf einen Handwagen auf einem Bauernhof? Wir haben ganz schnell einen großen Topf Kartoffelsalat gemacht und etwas Warmes zum Anziehen eingepackt. Der reife Roggen, acht Kühe, zwei Ochsen, Hühner, alles musste im Stich gelassen werden. Am größten war die Angst: Was soll aus uns werden, und wo sollen wir hin?
    Als ich später mit meinen Eltern in verlausten Baracken untergebracht war und wir alle krank wurden, haben wir gesagt, dass für uns alle drei nun wohl das Ende gekommen ist. Aber der liebe Gott hat gesagt, nein, ich will euch noch haben. Im Februar 1946 kamen wir nach Sachsen. Dort hatten wir wieder ein Dach über dem Kopf, und von da an ging’s allmählich bergauf. Das ist im Groben
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