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Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)

Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)

Titel: Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)
Autoren: Christiane zu Salm
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Schleudergang in der Waschmaschine– das trifft es wohl am besten. Ich erinnere mich genau, dass ich auf einer ganz unemotionalen, vielmehr vollkommen bewussten Ebene dachte: Jetzt stirbst du. Zweimal dort unter dem Schnee hat mir meine innere Stimme ganz neutral und ohne jedes Pathos zugerufen: Jetzt stirbst du. Das war weder angsteinflößend noch schön, es war einfach. Für einen kurzen Moment sah ich mich außerhalb meines Körpers. Ich betrachtete meinen zusammengerollten Körper in diesem riesigen Schneeball von außen. Gleichzeitig, auf einer emotionalen Ebene, hörte ich bei jeder Umdrehung meine kleine Tochter rufen: » Mami, Mami.« Dann das unglaubliche Glück: Die Lawine hat mich zweihundertfünfzig Meter weiter unten einfach ausgespuckt. Ich saß auf einem Felsvorsprung, ohne Skier, ohne Handschuhe, ohne Mütze, mit aufgerissener Hose. Der Tod hatte mir nur die Oberschenkel geprellt.
    Seitdem weiß ich wieder ein wenig besser, dass es ganz schnell vorbei sein kann, das Leben. Und den Tag, an dem das passierte, feiere ich seither im Innersten als eine Art zweiten Geburtstag, also als einen Tag, an dem mir das Leben ein zweites Mal geschenkt wurde.
    Vier Jahre später wollte ich Sterbebegleiterin werden. Eines Tages kam mir dieser Gedanke, ganz konkret. Ich hatte das Bedürfnis, sterbende Menschen in ihrer letzten Lebensphase zu begleiten. Ich wollte wissen, wie es ist, das Leben kurz vor dem Sterben. Und ich wollte da sein für Menschen, die ansonsten alleine sterben würden.
    Anfangs dachte ich, was für eine abwegige Idee. Ganz im Sinne des Wortes: fernab von meinem Weg. Nach beinahe zwanzig Jahren Berufstätigkeit in der Medienbranche, in der internationalen und durchaus glamourösen Musik-, Fernseh- und Managementwelt, nach vielen Jahren in der Kunstwelt plötzlich Sterbebegleiterin? Gerade beim Musikfernsehsender MTV , den ich über drei Jahre führte, hatte ich es doch ganz im Gegenteil ausschließlich mit dem vollen Leben, mit jungen Menschen und jungen Inhalten zu tun. Und stets mit Zukunft. Und wie gerne habe ich später Geschäftsmodelle für das digitale Zeitalter entwickelt. Immer schneller, immer weiter, immer nach vorn– das war die Parole. Zweistelliges Umsatzwachstum war das große Mantra in meinem beruflichen Leben. Wachsen, nicht vergehen. Werden, nicht enden. Zwar hatte ich mir schon seit Längerem mehr Zeit für soziale Projekte genommen, aber deswegen musste ich ja noch lange nicht Sterbebegleitung machen. Es ist schließlich auch eine ziemlich zeitintensive Angelegenheit.
    Dennoch, der Gedanke ließ sich nicht abschütteln. Er kam und ging, und ein bisschen unheimlich war er mir schon. Immer, wenn mir etwas nicht ganz geheuer ist, wenn ich vor etwas gehörigen Respekt oder Angst habe, finde ich stets tausend Dinge, die erst noch erledigt werden müssen. Dann räume ich sogar den Schreibtisch auf, lege Rechnungen ab, sortiere Bücher im Regal und taue– meist längst überfällig– das Gefrierfach ab. (Und das will schon was heißen.) Lauter vermeintlich wichtige Dinge, die vermeintlichen Vorrang haben. An irgendeinem Abend habe ich mich dann aber endlich getraut und mich überwunden, die zwei Wörter » Hospiz Berlin« bei Google einzugeben. Mit einem Glas Wein neben dem Computer. Zur Sicherheit. Monatelang hatte ich die Eingabe dieser beiden Wörter vor mir hergeschoben. So lange, bis sich dann doch irgendwann die Neugier durchsetzte. Noch konnte ja nichts passieren.
    Bald darauf füllte ich einen Online-Fragebogen aus und wurde offensichtlich für qualifiziert genug erachtet, um zu einem persönlichen Vorgespräch mit zwei Kursleiterinnen eingeladen zu werden. » Warum wollen Sie denn eine Ausbildung zur ehrenamtlichen Sterbebegleiterin machen?«, fragten mich die beiden Kursleiterinnen. » So ganz genau kann ich das nicht sagen«, antwortete ich. » Das Thema hat mich auf irgendeine Weise gerufen. Sicher hat es etwas damit zu tun, dass ich in der Kindheit eine Verlusterfahrung durch den Tod meines kleinen Bruders gemacht habe.«
    Ich erzählte also von meinen Begegnungen mit dem Tod und auch davon, dass ich immer schon gerne und oft Friedhöfe besucht habe. Sobald ich in eine neue Stadt komme, gehe ich auf einen Friedhof. Ich stelle mir dann vor, dass die Grabsteine zu mir sprechen. Ob » Frieda Meier, 190 4 –1982« ein erfülltes Leben hatte? Worüber hat sie gelacht? Was hat sie glücklich gemacht? Hat es Versäumnisse gegeben? Wer sind diese Menschen gewesen, denen hier
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