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Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)

Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)

Titel: Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)
Autoren: Christiane zu Salm
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an, respektvoll und achtsam mit Berührungen umzugehen.
    An einem anderen Wochenende beschäftigten wir uns mit dem Vergeben, dem Verzeihen, auch mit dem Umdeuten. Dem Sterbenden zu helfen, sich und anderen am Ende seines Lebens zu verzeihen, gehört zum Wichtigsten in der Hospizarbeit. Dazu gehört zu begreifen, dass jede noch so schlechte Eigenschaft, die wir an uns finden, auch eine gute Seite hat. Diese anzuschauen und auch anzunehmen gilt es dem Sterbenden zu vermitteln.
    Den eigenen Nachruf schreiben– mein Schlüsselerlebnis
    Eines Tages sagte die Kursleiterin in die Runde: » Bei der nächsten Übung gehen Sie bitte davon aus, dass Sie übermorgen sterben werden. Definitiv. Sie können sich das nicht vorstellen? Doch, können Sie. Sie müssen nur wollen. Nehmen Sie sich Stift und Papier und schreiben Sie einen Nachruf auf sich selbst. Jetzt. Sie haben eine Viertelstunde Zeit.«
    Ausgeschlossen, dachte ich sofort. In der vorangegangenen Übung hatten wir, jeder für sich, unser Begräbnis organisieren sollen. Das ging ja noch. Ob wir Blumen auf unserem Grab haben wollten, ob wir überhaupt ein Grab wollten, Urnen oder Sargbestattung, mit oder ohne Zeremonie, geistlich oder nicht, Musik oder Stille, viele oder wenige Leute, was gesagt werden und worüber besser geschwiegen werden sollte. Das war mir nicht weiter schwergefallen, denn Kirchenmusik ist zum Beispiel mein Ding, ich kenne jedes klassische Requiem in- und auswendig. Ich mag die Ewigkeit und die Erhabenheit, die in dieser Musik zu spüren sind. Und auf meinen vielen Spaziergängen auf Friedhöfen schaue ich immer nach schönen Grabsteinen, nach den Blumen auf den Gräbern und den Bäumen um sie herum, und suche, meist vergeblich, nach Inschriften, die mehr verraten als nur die üblichen Daten. Das Thema Begräbnis ist mir also irgendwie vertraut, und so hatte ich mit derselben inneren Gelassenheit, mit der ich To-do-Listen für Einkäufe oder Handwerker schreibe, die einzelnen Punkte für mein Begräbnis aufgelistet.
    Aber jetzt einen Nachruf auf mich selbst schreiben? Wie bitte schön sollte denn das gehen? Wie sollte ich in fünfzehn Minuten einen Rückblick auf mein Leben abliefern? Mal eben schnell zu Papier bringen, wer ich gewesen sein wollte? Wie ich in Erinnerung bleiben sollte? Dafür hätte ich eigentlich Stunden, Tage, am liebsten ein paar Wochen gebraucht– und ganz viel Ruhe und Alleinsein, um darüber nachzudenken. Eine gute Bilanz zu ziehen braucht Zeit. Stattdessen hatte ich jetzt das Gefühl, in Windeseile einen ganzen Ozean in einem Wassertropfen unterbringen zu müssen. Ein schwieriges Unterfangen. Bis sich mir auf einmal die Frage aufdrängte: Hey, wie wichtig nimmst du dich eigentlich gerade, dass dir das so unheimlich schwerfällt? Eigentlich könnte es dir doch vollkommen egal sein, was über dich an deinem Grab gesagt wird und von wem. Du bekommst es doch eh nicht mehr mit. Aber ich merkte: Es war mir nicht egal. Es war vielmehr die perfekte Möglichkeit, ein paar Dinge aus meiner ganz eigenen Sicht geradezurücken, ohne Widerspruch und Gegenargumente anhören und ertragen zu müssen. Wie bequem! Eine Möglichkeit, jedem im Nachhinein mitzuteilen, wie ich wirklich war. Wie eitel ist das denn?, dachte ich dann wiederum. Was für ein großes Ego da doch spricht. Aber warum eigentlich nicht? Auch das kann mir doch egal sein. Aber anscheinend war mir noch lange nichts so egal, wie es egal sein könnte und vielleicht sollte, wenn ich tot sein würde.
    Zeitnot funktioniert ja immer, wenn es darum geht, die Dinge auf den Punkt zu bringen. Eine Art Lebenslauf mit Schule, Studium, Arbeitsstationen, Freundschaften, Beziehungen, Kindern, Hobbys, sonstigen Fähigkeiten, Vorlieben und Erfahrungen schied daher aus. Dann also so etwas wie die Top-Ten-Erfahrungen meines Lebens? Ich hatte bereits kostbare Minuten mit meinen Reflexionen über meine Eitelkeit oder Uneitelkeit angesichts des eigenen Todes verschwendet, und jetzt waren noch weitere fünf Minuten vorüber. Ich konnte mich nicht weiter damit aufhalten, mich an alles Erlebte und Gewesene zu erinnern, mir zu überlegen, welches der vielen Kapitel meines Lebens ich unbedingt erzählen wollte, und wer und was wichtiger war als andere oder anderes, und wer und was noch wichtiger war als das Wichtige. Und was ich meinen Hinterbliebenen noch sagen wollte. Schnell schossen mir Sätze durch den Kopf wie: » Gerne hätte sie noch…« und » Schade eigentlich, dass sie nun nicht mehr dazu
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