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Diese eine Woche im November (German Edition)

Diese eine Woche im November (German Edition)

Titel: Diese eine Woche im November (German Edition)
Autoren: Michael Wallner
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antwortet sie in bestem Italienisch.
    » Oh, du sprichst … «
    » Bist du schwer von Begriff? Zisch ab. « Sie dreht sich um.
    Um diese Jahreszeit hängen häufig Wolken über Venedig. Manchmal den ganzen Tag. Aber plötzlich reißt irgendwo der Himmel auf, ein Lichtstrahl fällt aufs Wasser. Das sind magische Momente, in denen die Touristen ihre Kameras hochnehmen und knipsen. In dem Augenblick, als Julia sich umdreht, gibt es keinen Lichtstrahl. Die Sonne versteckt sich hinter der Kirche San Sebastiano. Das Wasser ist trüb, ein Motorkutter macht Lärm und stinkt. Nichts ist magisch, nicht das Geringste. Nur für Tonio beginnt ein neues Zeitalter.
    Das Mädchen ist nicht außergewöhnlich hübsch. Ihre Nase ist ein wenig kurz, die Stirn etwas zu hoch. Das Blond der Haare könnte unecht sein. Auf der Wange hat sie einen Pickel mit irgendetwas abgedeckt. Trotzdem kommt es Tonio vor, als ob ihr Gesicht den Rest der Welt ausblendet.
    Die Sache mit den Frauen ist für Tonio nicht neu. Die Jungs aus seinem Viertel haben davon erzählt und Videos rumgehen lassen. Ein paarmal hat Tonio mit einem Mädchen schon hinterm Bahnhof geknutscht. Manchmal bemerkt er, dass die Touristinnen ihm Blicke zuwerfen. Sie sehen ihn an, wie man einen saftigen Pfirsich betrachtet.
    Was im Moment passiert, ist anders. Tonio könnte ewig so stehen und die Deutsche ansehen. Das kann er natürlich nicht, denn Pippa nähert sich. Pippa mit dem Panthergang, bereit zum Sprung. Sie beobachtet Tonio. Gibt er das Zeichen, dass sie losschlagen soll?
    » Bist du schwerhörig? « , fragt die Blonde.
    » Nein « , antwortet er, ziemlich das Dümmste, was man sagen kann.
    Ihr Mund verzieht sich spöttisch. » Was heißt – nein? «
    Sie lächelt, denkt Tonio. Sie hat mich angelächelt.
    Schreiende Kinder laufen vorbei. Das ist der Moment für Pippa. Ein paar Schritte, ihre Hand verschwindet in Julias Umhängetasche, taucht wieder auf. Etwas Dunkles ist darin, ein Ding aus Leder. Pippa versenkt es in ihrer Jacke und läuft weiter, als ob nichts passiert wäre.
    » Nicht! « , ruft Tonio.
    Die Deutsche zuckt zusammen. » Spinnst du? «
    Pippa verschwindet zwischen den Kindern. Soll er ihr nachrennen und die Brieftasche an sich nehmen? Das würde bedeuten, sie zu entlarven. Was soll er sonst tun? Tonio weiß nur, dieses Mädchen darf man nicht bestehlen. Er macht ein paar hilflose Schritte hinter Pippa her.
    » Schmieriger Italiener « , schimpft die Blonde und macht sich in die Gegenrichtung auf den Weg.
    Tonio zieht es hin und her. Er könnte Pippa einholen, dann wäre die Deutsche fort. Er könnte die Deutsche verfolgen und die Brieftasche bliebe in Pippas Jacke. Ein Dilemma, dem Tonio nicht gewachsen ist. Da steht er und schaut den beiden nach, wie sie auf der Straße der Leinenweber in entgegengesetzte Richtungen verschwinden.

6

    H eute Morgen hat Herbert Reichelt seiner Tochter erlaubt, dass sie losziehen und shoppen darf. Er hat ihr sogar seine Kreditkarte mitgegeben. Zum Mittagessen sind sie verabredet, anschließend soll es ins Guggenheim-Museum gehen. Dieser Tagesplan gibt Herbert die Möglichkeit, seine Verabredung mit Commissario Gianfranco einzuhalten.
    Es ist statistisch nachgewiesen, dass in Venedig überdurchschnittlich viel geraubt, gestohlen und betrogen wird. Die Ballung so vieler Fremder auf engstem Raum wirkt magnetisch auf Verbrecher. Aber Herbert Reichelt ist nicht wegen eines Diebstahls in der Lagunenstadt, im Gegenteil, er hat den Verdacht, dass ein bestimmtes Diebesgut nach Venedig geschafft wurde.
    In Düsseldorf, wo Herbert Hauptkommissar ist, fand vor Kurzem eine Juwelenauktion statt. Versteigert wurden historische Schmuckstücke aus dem 16. Jahrhundert. Die Exponate sollten hohe Preise erzielen, weshalb die Auktion unter verschärften Sicherheitsbedingungen stattfand. Die meisten Käufer waren bei der Versteigerung nicht anwesend, sondern boten telefonisch. Japaner waren darunter, Russen, ein Milliardär aus Jamaika und ein italienisches Konsortium. Bei einem Diadem mit dem Namen Die Tränen der Maddalena boten die Italiener mit. Sie wollten das Schmuckstück für ihr Museum kaufen. Ein Russe überbot sie und bekam den Zuschlag.
    Während der Minuten, als man Die Tränen der Maddalena vom Auktionssaal in den Tresor zurückbrachte, verschwand das Diadem. Ein Wächter wurde bei dem Raub überwältigt, die Transportbox leer zurückgelassen. Von den Tätern fehlt jede Spur.
    Herbert Reichelt übernahm den Fall. Seine Aufgabe
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