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Diese alte Sehnsucht Roman

Diese alte Sehnsucht Roman

Titel: Diese alte Sehnsucht Roman
Autoren: Richard Russo
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Blick ab.
    »Oh, gut«, sagte sie, als sie zwanzig Minuten später auf Barhockern Platz nahmen. »Sie haben noch immer dieses komische Schild.«
    In der Olde Cape Lounge war es so voll wie beim letzten Mal, und die Bedienung warnte sie, es könne gut eine Stunde dauern, bis ein Tisch frei würde. Marguerite schien es zu genießen, zu festlich angezogen zu sein. Griffin hatte ihr Kleid noch nie zuvor gesehen, aber es stand ihr hervorragend und ließ viel Haut sehen, Haut von der Art, die unitarische Komiker zum Schwitzen brachte.
    »Was steht da noch mal?«, sagte sie und musterte mit zusammengekniffenen Augen das Schild.
    »Trinken Sie ein paar von denen, und Sie verstehen es«, sagte der Barmann und stellte Marguerites Cosmopolitan und Griffins Martini vor sie hin. Offenbar war das ein Standardscherz, denn der Barmann war ein anderer als im vergangenen Jahr. »Sie wissen doch, dass Misshandlung des Ehepartners in diesem Bundesstaat verboten ist«, sagte er zu Marguerite und nickte in Richtung Griffin, der die Sonnenbrille auf die Nasenspitze geschoben hatte, um das Schild besser lesen zu können.
    »Aber er ist gar nicht mein Ehemann«, sagte sie.
    »Dann will ich nichts gesagt haben. Machen Sie mit ihm, was Sie wollen.«
    »Ich weiß nicht mehr, wie man es lesen muss«, sagte Marguerite, als der Barmann gegangen war.
    An einem solchen Punkt mischte sich normalerweise seine Mutter ein und wollte wissen, wo diese Kuh eigentlich studiert hatte, doch diesmal blieb sie still. Ja, wenn er es genau bedachte, hatte sie seit Chatham nicht ein einziges Mal ihre Meinung kundgetan. Konnte es sein, dass sie sie durch das Verstreuen ihrer Asche zum Schweigen gebracht hatten? Für immer? Diese – wenn auch entfernte – Möglichkeit hätte ihn aufmuntern sollen, aber sie tat es nicht.
    »Achte nicht auf die Leerzeichen«, sagte er und legte die Hand auf ihren Rücken, wo die Haut warm, ja beinahe fiebrig heiß war. »Lass die Worte von selbst Gestalt annehmen.« Er war mehr denn je entschlossen, dieser großzügigen Frau die Freude zu machen, die sie verdiente. Es war ja nicht so, dass es schwer gewesen wäre, sie glücklich zu machen. Sie wollte bloß ein wenig Spaß. »Wo findest du bloß immer diese warmherzigen Frauen?«, hatte Tommy gefragt, nachdem er sie kennengelernt hatte, und er hatte recht gehabt. Auch nach ihrer Ehe mit Harold begriff Marguerite Unfreundlichkeit nicht als Option. Die unzähligen perversen Befriedigungen, die man daraus schöpfen konnte, waren ihr ebenso fremd wie die Aufschrift auf dem Schild, die sie jetzt mühsam entzifferte. (»Ver … weile … unter … Men … schen … hier …«) Wenn sie nächstes Jahr noch zusammen waren und wieder in die Olde Cape Lounge gingen, würde er es ihr abermals beibringen müssen, obgleich die Aussage im Grunde die Kurzform ihrer eigenen Lebensphilosophie war.
    Aber morgen würde sie mit ihm über die Sagamore Bridge fahren, sich mit ihm ins Flugzeug setzen, nach L.A. zurückfliegen und dann …? Was dann? Wenn er versuchte, sich vorzustellen, wie es mit ihnen weitergehen würde, konnte er es nicht, und das lag weniger an ihr als an ihm. Seine Zukunft, ob mit oder ohne Marguerite, war es, die sich weigerte, Gestalt anzunehmen. Er konnte mithilfe seiner neuen Agentin weiter unterbezahlten Fernsehaufträgen nachjagen, ein oder zwei Abendklassen unterrichten und eine Art Lebensunterhalt zusammenkratzen. Aber das war wohl kaum eine Zukunft – es war ja kaum ein Leben. Das einzige Gute, was er in L.A. geschrieben hatte, war »Der Sommer mit den Brownings«, und dafür war er in Freiexemplaren bezahlt worden. Kein Scheck und ebenfalls keine Zukunft. Hör auf , sagte er sich. Hör auf zu denken. Bring diesen Abend ohne Grübeln hinter dich .
     »Sei … freundlich … und … tu … Echtes …«
    »Rechtes«, verbesserte er sie.
    »Ach ja«, sagte sie, nahm seine Hand und drückte sie. »Sei … gütig … fröhlichg …«
    Fröhlich , wollte er sagen, verkniff es sich aber. »Goldene Worte.«
    »Und dieser alte Mistkerl Harold hat gesagt, das hätte nichts zu bedeuten.« Sie gab Griffin einen Kuss auf die Wange, den, wie die Geste anzudeuten schien, Harold bekommen hätte, wenn er es nur richtig angestellt hätte. Marguerite genoss die Zurschaustellung von Zuneigung beinahe ebenso sehr wie die Zuneigung selbst. Das war ein weiterer Unterschied zu Joy, die ihn nach der Hochzeit nie mehr in der Öffentlichkeit geküsst hatte. Er konnte sich noch an die herbe
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