Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Diese alte Sehnsucht Roman

Diese alte Sehnsucht Roman

Titel: Diese alte Sehnsucht Roman
Autoren: Richard Russo
Vom Netzwerk:
wählten sie eine nur bei Flut gefüllte Bucht an der Atlantikseite in der Mitte des Capes. Jenseits der Bucht, etwa vierhundert Meter entfernt, stand ein teures Restaurant mit riesiger Terrasse, von der der Wind den Klang prahlerischer Stimmen und das gelegentliche Knallen eines Champagnerkorkens herübertrug; wenn er drehte, hörte man die Brandung. Ein älteres Paar, das vorüberging, als er die Urne mit der Asche seiner Mutter leerte, sah ihn, trat zu Marguerite, die still weinte (wie sie es auch bei seinem Vater getan hatte) und tröstete sie. »Geben Sie gut auf sie acht«, sagte die Frau zu Griffin, der mit trockenen Augen dabeistand, als hätte sie ihn mit einem einzigen Blick taxiert und den Eindruck gewonnen, dass er dieser Aufgabe nicht ganz gewachsen war.
    Im Wagen sagte Marguerite: »Na gut, so viel werde ich dir sagen. Mein Vater hat sich aufgehängt, als ich ein kleines Mädchen war.«
    Jetzt war es an Griffin, ihre Hand zu nehmen. »Wie furchtbar. Das tut mir leid.«
    »Ist schon gut. Ich kann mich eigentlich gar nicht an ihn erinnern. Nur an das, was meine Mutter zu mir gesagt hat.«
    Griffin wollte die Frage nicht stellen, aber das war unmöglich.
    »Sie hat gesagt: ›So. Bist du jetzt zufrieden?‹«
    Er schlug vor, zu einem teuren Restaurant in Chatham zu fahren, doch Marguerite zog wieder ihre Schultern nach vorn und sagte: »Ich habe eine bessere Idee. Lass uns zu dem Restaurant fahren, wo wir uns kennengelernt haben.«
    Griffin konnte sich nicht vorstellen, warum sie ausgerechnet in die Olde Cape Lounge gehen wollte – sie hatte geweint, als er sie vor einem Jahr zuletzt dort gesehen hatte, in Harolds Begleitung –, aber wenn sie es wollte, hatte er nichts dagegen. Es wäre praktisch, den Abend in dieser Gegend zu verbringen, denn dann wäre es morgen nicht mehr weit zum Flughafen Logan.
    Griffin war nicht sicher, ob er es noch einmal finden würde, und so beschlossen sie, erst das Restaurant zu suchen und sich dann in der Nähe ein Zimmer zu nehmen. Er wollte die Pension, in der Joy und er vor einem Jahr abgestiegen waren, vermeiden und vermutete sie (richtig) an der Hauptstraße, etwa achthundert Meter vom Restaurant entfernt, glaubte aber (fälschlich), es werde vorher noch eine Abzweigung zur Route 28 kommen. »Oh, das sieht nett aus«, sagte Marguerite, als sie an der Pension vorbeifuhren, und so kehrte Griffin, der nicht erklären wollte, warum er lieber ein anderes Quartier gesucht hätte, um und fuhr zurück. Sie wurden von derselben Frau wie im letzten Sommer begrüßt, doch sofern sie ihn wiedererkannte – was wegen der großen Sonnenbrille unwahrscheinlich war –, ließ sie es nicht erkennen. Sie führte ihn und Marguerite zu demselben Zimmer, das er und Joy gehabt hatten, und er erwog, sie um ein anderes zu bitten, sagte aber nichts. Die späten mittleren Jahre des Lebens waren, wie er langsam begriff, eine Zeit, in der alles vorhersehbar war und es einem dennoch nie gelang, etwas kommen zu sehen.
    Erschöpft von den Gefühlen des Tages und der langen Fahrt von Maine zum Cape, machten sie vor dem Abendessen ein Nickerchen. Marguerite erwachte erfrischt und belebt, während Griffin sich benommen und zerschlagen fühlte und seine ohnehin gedrückte Stimmung noch gedrückter war. Aber warum, um Himmels willen? Seine Tochter war glücklich verheiratet und unterwegs nach Paris. Die Schecks, die er ausgestellt hatte, waren gedeckt, und seine Eltern hatten dank Marguerite ihre letzte Ruhe gefunden. Er hätte eigentlich feiern sollen. Brütete er etwas aus? Möglicherweise. Wie seine Eltern wurde Griffin oft krank, wenn er es sich erlauben konnte, etwa am Ende des Studienjahrs. Als er mit Tommy Drehbücher geschrieben hatte, war er in dem Augenblick krank geworden, in dem er dem Produzenten das fertige Buch überreicht hatte. Möglicherweise also.
    Auf jeden Fall wollte er den Abend, was immer er brachte, Marguerite zuliebe tapfer durchstehen.
    Im Badezimmer schluckte er gegen den Kopfschmerz, der sich hinter den Augen sammelte, ein paar Ibuprofen (er schwor sich, sie nie mehr »Ibies« zu nennen, nicht einmal in Gedanken) und stieg in die Dusche, in der Hoffnung, das werde ihn frischer machen.
    »Komm, wir machen uns richtig schick«, schlug Marguerite vor, als er wieder ins Zimmer trat.
    »Das ist kein besonders schickes Lokal«, wandte er ein.
    »Aber wir«, sagte sie. »Wir werden schick sein.«
    Und Griffin, der wusste, dass sie die Schultern nach vorn ziehen würde, wandte den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher