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Dies Herz, das dir gehoert

Dies Herz, das dir gehoert

Titel: Dies Herz, das dir gehoert
Autoren: Hans Fallada
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beseelt ihnvon neuem die Hoffnung, die Mutter könnte unten sitzen, ihn abfangen wollen.
    Aber wiederum nichts. Die Diele ist leer und dunkel. Er stößt gegen den eingeschmuggelten Ritter, der Ritter klappert blechern – aber nichts rührt sich. Er öffnet die Haustür. Drei Minuten steht er in der Haustür und wartet noch einmal, eine letzte Chance – für die andern.
    Dann fällt die Tür seines Vaterhauses hinter ihm zu, es hallt dumpf wider. Er steht und lauscht dem Schall nach – hundertmal, zehntausendmal ist diese Tür hinter dem Kind, dem Knaben, dem Jüngling Johannes Wiebe zugeschlagen: diesmal scheint der Ton anders zu sein. Es hallt  nicht nur im Haus, es hallt auch in seinem Herzen wider.
    ›Nun komme ich nie wieder zurück‹, denkt er und versucht dann, es sich halblaut vorzusprechen. Aber das begreift sich noch nicht. Noch nicht!
    Auf dem Fabrikhof springt Bella, die Wachhündin, ihn an. Er streichelt sie eine Weile, bis der alte Wächter Lobrian heran ist. Er muss noch mit einem Menschen hier sprechen, ehe er ganz fortgeht.
    »Guten Abend, junger Herr«, mummelt der Alte. »Soll ich Ihnen den Koffer tragen?«
    »Nein, danke, Lobrian. Wenn Sie mir nur die Pforte aufschließen wollten?«
    »Sie gehen wohl wieder auf Reisen, junger Herr?«
    »Ja, Lobrian, und diesmal weit fort, bis nach Amerika!«
    »Nach Amerika! Sie haben es aber gut, junger Herr, da soll es Arbeit und Essen die Fülle geben!«
    »Die haben auch ihre Sorgen, Lobrian.«
    »Glauben Sie das doch nicht, junger Herr! Ich habe es doch gelesen, wie gut es denen geht. Warum sollte es uns soschlecht gehen, wenn es nicht andern dafür gutgeht?! Es gleicht sich alles aus auf dieser Erde, junger Herr!«
    »Glauben Sie das wirklich, Lobrian? Ach, seien Sie doch so gut und sehen Sie einmal auf der Straße nach, ob da wer von unseren Arbeitern steht.«
    Plötzlich ist dem jungen Johannes die Angst überkommen, da könnte noch einer von den Monteuren stehen und die Erfüllung seines Versprechens verlangen, dass morgen die Arbeit wieder anfängt, etwa der Martin Raschke ... Wie ein Wortbrüchiger, wie ein Fahnenflüchtiger kommt er sich vor!
    »Da ist niemand, junger Herr. Wer soll auch da sein? Wir haben doch zugemacht.«
    »Ja, wir haben zugemacht. Gute Nacht, Lobrian, und hier ...« Er gibt dem Wächter Geld, er kann es nicht lassen, er ist der junge Herr aus gutem Hause.
    »Danke schön, junger Herr, und glückliche Reise! Und kommen Sie gesund zurück!«
    »Vielleicht komme ich gar nicht zurück?«
    »Ih, wie werden Sie nicht! Sie denken, weils da drüben so gut aussieht und hier so schlecht? Das wendet sich auch einmal, dann sind wir oben, und die sind unten. Da werden Sie doch nicht fehlen wollen?«
    Und ein anderes Bild taucht auf. Im Hamburger Hafen liegt der Dampfer, und die Auswanderer gehen an Bord. Fahle Gestalten, jämmerliche Gestalten – mit jämmerlichem Sack und Pack. Johannes Wiebe sieht von seinem Promenadendeck auf sie hinunter, wie sie an Bord zotteln, einem ungewissen Schicksal entgegen, mit weinenden Frauen und plärrenden Kindern.
    Und doch beneidet! Denn an Land steht ein dichter Schwarm derer, die ebenso zerlumpt, ebenso verzweifeltsind, denen aber das Schicksal nicht die Gunst geschenkt hat, Einwanderungserlaubnis in die Staaten zu erhalten.
    »Ach, Tilly, wein doch bloß nicht. Ihr habt’s doch jetzt geschafft, drüben habt ihr gleich Arbeit. Und in sechs Monaten fahrt ihr ’n eignes Auto!«
    »Schick gleich Dollar. Du weißt, Omi hat’s kaum noch zum Leben.«
    »Ach, wer da auch mitfahren könnte! Nur raus aus dem Dreck!«
    »Hier wird man doch nie wieder was!«
    »Sieh doch bloß mal den Ausgemergelten, der so hustet! Den Schwindsuchtskandidaten lassen sie rüber an all die schöne Arbeit, und wir, mit unsern guten Knochen, dürfen weiter stempeln!«
    Ja, dies war einer der Momente, da die Wolke sich lichtete, da sich Johannes Wiebe wie ein Bevorzugter vorkam. All diese Überladenen, Verarbeiteten, Besorgten hatten noch den Mut zu einem guten Start – wie sollte er ihn nicht haben müssen? Er fing drüben ganz anders an.
    Dann, als die Küste Deutschlands langsam verschwunden war, saß er im Rauchsalon neben einem Deutsch-Amerikaner.
    »Ich habe mir the old country angeschaut«, sagte der Deutsch-Amerikaner. »Aber ich leike es gar nicht more.«
    »Was tun Sie nicht?«
    »Ich leike es nicht. Wie sagen Sie in Deutsch? To like?«
    »Sie lieben es nicht mehr?«
    »Nein, es ist – nonsense! Alles Bruch. Aber
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