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Diebin der Zeit

Diebin der Zeit

Titel: Diebin der Zeit
Autoren: Vampira VA
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fehlte ihm bereits die Kraft. Und selbst wenn er es über sich gebracht hätte, wer hätte ihm beistehen sollen? Überall lagen die Toten und Sterbenden, Mägde und Knechte, Tagelöhner . Ravaillacs Sippe hatte fürchterlich auf dem Hof des Bauern Vaugard gehaust, nicht zuletzt aus dem ungewohnten Gefühl eigener Ohnmacht heraus.
    Die Ohnmacht gegenüber dem, was sie aus Paris und dem Dunstkreis Louis XIII. und Kardinal Richelieus - ihren vermeintlichen Marionetten - vertrieben hatte .
    Eine ganze Woche hatte es gedauert, bis Ravaillac endlich das letzte seiner verstörten Kinder aufgespürt und wieder um sich geschart hatte, nachdem dieser wahnsinnige Richelieu nach seinen verdeckten und von Ravaillac geduldeten Kriegseinmischungen nun durch sein öffentliches Bekenntnis, Frankreich fühle sich durch Habsburg bedroht, fast zur Kriegserklärung genötigt hatte!
    In den letzten zehn Tagen seit der gespenstischen Vertreibung aus Paris (zehn Tage, die Ravaillac und seiner Sippe wie eine Ewigkeit vorkamen) hatte sich die Welt verändert: Frankreich war nun offiziell mit Schweden, Savoyen, Bayern, Weimar und Hessen gegen Kaiser Ferdinand II. verbündet, und wenn es nach Richelieus öffentlich geäußertem Willen ging, würde bald eine Kriegsfurie ungeahnten Ausmaßes über Deutschland hinwegfegen ...
    »Den Bann«, präzisierte Racoon. »Das, was uns erst in kopflose Panik gestürzt hat und nun den Weg zurück verwehrt!«
    Ravaillac starrte den überaus ansehnlichen, geradezu beunruhigend attraktiven Vampir an, der wie ein Adelssproß gekleidet war und dadurch hier draußen, wie die meisten seiner Brüder und Schwestern, seltsam deplaziert wirkte.
    Hier draußen .
    Drei Kilometer von Paris entfernt war das, was Racoon als Bann bezeichnet hatte, immer noch spürbar, aber sehr viel erträglicher: ein Druck, eine Benommenheit, die jeden Gedanken bremste.
    Und unsere Magie erstickt, dachte Ravaillac.
    So war es tatsächlich. Dieses unsichtbare Tuch, das sich über die Dächer der Stadt gespannt hatte, unterdrückte das, was der Kelch dereinst in sie gepflanzt hatte, in ihr geschwärztes Blut!
    Mit Mühe waren sie auf ledrigen Schwingen entkommen, aber schon kurz hinter der Stadtgrenze hatten die meisten von ihnen aus Entkräftung bereits wieder zu Boden gehen und ihre wahre Gestalt annehmen müssen. Ein schrecklicher Durst hatte sie heimgesucht, und erst nachdem er gestillt gewesen war, hatten sie allmählich begriffen, was ihnen widerfahren war. Inmitten der unterschiedlichsten Beschäftigungen waren die Instinkte im gleichen Augenblick mit allen durchgegangen. Tiefverwurzelte Reflexe, denen sie - daran zweifelte kaum einer - ihr Überleben zu verdanken hatten.
    Was war geschehen?
    Ravaillac wußte sich keine Antwort darauf. Aber er war trotz aller Fremdheit und Bedrohung, die Paris neuerdings ausstrahlte, fest entschlossen, es herauszufinden.
    Noch heute Nacht!
    »Sag den anderen, sie sollen hier auf meine Rückkehr warten!«
    Als er das nächste Mal in Racoons Augen schaute, brannte für einen flüchtigen Moment ein wahres Feuerwerk der Furcht darin ab. Doch dann lagen sie wieder ruhig und vertrauensvoll wie zwei tiefe, dunkle Brunnen in den Höhlen.
    Die hochgeschossene Gestalt nickte, und Ravaillac nahm all seine Sinne zusammen, um sich zu verwandeln.
    Wieder war ihm, als würden seine Flügel Wasser peitschen, so elend schwer, so zögerlich trugen sie ihn voran. Und je näher er den überfüllten Häusern mit Menschen von unterschiedlichster Couleur kam, über die er und die seinen so lange und so absolut geherrscht hatten, desto bestürzender formte sich die Erkenntnis in ihm, daß keiner dieser Flügelschläge unbemerkt blieb von dem, was die geheimen Herrscher aus der Stadt an der Seine gejagt hatte .
    *
    Es gab keine Stadtmauer, es gab keine Gräben . Eines Tages würde die Stadt in Schönheit sterben, falls die Truppen von Kaiser Ferdinand II. es schafften, bis hierher vorzurücken!
    Ravaillacs Gedärm - oder genauer die Eingeweide des Wesens, in das er sich verwandelt hatte - zogen sich vor Wut zusammen. Gedanken stoben wie Funken durch das winzige Hirn der Fledermaus.
    Er begriff es nicht!
    Je näher er dem Palast desjenigen kam, den er und seine Sippe umhegt und gefördert hatten, wo immer es erforderlich gewesen war, desto unfaßbarer erschien Ravaillac die Tat von König und Kardinal.
    Wie hatten sie so eigenmächtig handeln können? Louis XIII. und Armand Jean du Plessis Richelieu ... was maßten sie sich
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