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Diebin der Nacht

Diebin der Nacht

Titel: Diebin der Nacht
Autoren: Meagan McKinney
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langsamer, furchtbarer Schauder lief Mystere den Rücken hinunter. Sie drehte sich um und schaute in die türkisfarbenen Augen von Rafael Belloch. Das verkniffene Lächeln, das er ihr schenkte, schien ihm Mühe zu bereiten. Sein kastanienbraunes Haar war unmodern kurz geschnitten und über einer ausgeprägten Stirn und einer feinen, romanischen Nase glatt zurückgekämmt.
    »Noblesse oblige«, feuerte Pollard zurück, »hat widerliche Suhlen wie den vierten Bezirk und populistische Demagogen wie Tom Foley hervorgebracht, die die Iren und Italiener gegen uns aufhetzen. Der ungewaschene Pöbel hat 1863 beinahe diese Stadt niedergebrannt. Beim nächsten Mal haben sie vielleicht Erfolg damit, dank dieser ganzen neuen >Aufklärung<, für die Sie sich stark machen.«
    Pollard stapfte mit vor Ärger gerötetem Gesicht davon. Mystere hatte jedoch bemerkt, dass Belloch dem älteren Mann überhaupt nicht zugehört hatte. Er hatte seine pro- vozierenden Bemerkungen nur gemacht, um Pollard loszuwerden. Nun taxierten seine Augen Mystere mit aufrichtigem Interesse.
    Ihr Magen verkrampfte sich. Seit ihrer Einführung in die Gesellschaft war es ihr gelungen, diesem Mann aus dem Wege zu gehen, hier jedoch war er nun. Rafe Belloch. Der berüchtigte Räuberbaron persönlich, mit einem Blick, der sie viel zu konzentriert erforschte, und mit Worten, die so sanft waren wie eine Rasierklinge.
    »Dieser Haufen hier verachtet die Tammany-Politik«, bemerkte er. »Aber wer sonst macht sich die Mühe, Krankenhäuser und Waisenhäuser für die Armen zu bauen?«
    »Ich wäre nicht so voreilig, Mr. Belloch, Waisenhäuser zu preisen.«
    Mystere bereute es auf der Stelle, in einem unbedachten Moment ihre Meinung geäußert zu haben. Die Worte waren jedoch aus ihr herausgesprudelt, noch bevor sie sie zurückhalten konnte. Da sie sich durch seinen Blick in der Falle fühlte, fügte sie in sehr viel unbeschwerterem Tonfall hinzu: »Mr. Pollard ist doch nur ein harmloser alter Miesepeter. Hat Ihnen die Demonstration meines Onkels gefallen?«
    Sein Blick geriet nicht einen Moment lang ins Wanken. »Sie war raffiniert und unterhaltsam, in der Tat. Aber trotz der ganzen anwesenden Finanzgenies glaube ich nicht, dass irgendjemand bisher hinter sein Geheimnis gekommen ist.«
    Ein paar Sekunden lang schwebten seine beunruhigenden Worte bedrohlich und anklagend zwischen ihnen in der Luft. Mystere wurde von Panik ergriffen, denn sein Blick schien sich tief in ihre Seele zu bohren. Sämtliche Stimmen um sie herum wurden plötzlich gemeinsam mit den erhabenen Klängen eines Straußwalzers zu schrillen Geräuschen, die in ihren Ohren kreischten.
    Er weiß es, dachte sie verwirrt. Der schreckliche Moment öffentlicher Entlarvung war gekommen.
    Mystere hatte jedoch die Kunst der Verstellung von einem wahren Meister gelernt und schenkte ihm ein sittsames kleines Mona-Lisa-Lächeln. »Hinter das Geheimnis meines Onkels gekommen, Mr. Beiloch? Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz, was Sie meinen.«
    »Nun ja, das ist doch ganz einfach. Es ist erstaunlich, wie viel man über einen jeden Bürger in Erfahrung bringen kann, indem man einfach einen Diener schickt, seine geparkte Kutsche zu durchsuchen. Oder Ihr Onkel erhält seine Informationen vielleicht lediglich dadurch, dass er ein paar ruhige Augenblicke mit einem geschwätzigen Zimmermädchen verbringt und sie eventuell sogar überredet, ein vertrauliches Tagebuch zu lesen?«
    Sie lächelte vor Erleichterung, und ihre Selbstsicherheit kehrte zurück. Beiloch meinte nur das kleine, nicht das große Geheimnis.
    »Ich nehme an, das ist möglich«, gab sie ohne großes Interesse zu. »Ich bekenne, dass mein Glaube an okkulte Dinge nicht besonders groß ist. Ich betrachte die Demonstrationen meines Onkels als harmlose Unterhaltung. Mit Sicherheit hat er seine kleinen Tricks.«
    »Selbstverständlich. Ermutigt durch Mrs. Astor persönlich. Wenn man vom Teufel spricht...«
    Erwies mit seinem Kinn hinüber. Die große Matrone kam in diesem Moment direkt auf sie zu - natürlich begleitet von ihrem Lieblingslakai Ward McCallister, der mit sorgfältig festgelegtem Abstand hinter ihr herlief. Offiziell ihr gesellschaftlicher Berater, war er außerdem weniger offiziell ein Kuppler.
    »Guten Abend, Mystere«, begrüßte Caroline sie mit echter Zuneigung, indem sie der jüngeren Frau einen Kuss auf die Wange gab. »Sie sind in letzter Zeit viel zu zurückhaltend gewesen. Sie haben es doch nicht nötig, im Schatten Ihres großen
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