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Diebe

Diebe

Titel: Diebe
Autoren: Will Gatti
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weggezogen sind, einer verwahrlosten Hüttensiedlung am Stadtrand. Das Leben dort war hart; sie und Demi waren immer wieder in Schlägereien verwickelt, aber keinem von beiden wurde dabei so übel mitgespielt wie Fay. Sie kam eines Morgens nach Hause und war so ramponiert, dass sie kaum gehen konnte. Baz hatte schon Angst, dass sie sterben würde, aber Demi kümmerte sich um sie, säuberte ihr das Gesicht und wusch das Blut und den Schmutz ab. Ihr Mund war geschwollen und das Kinn sah aus wie eine einzige große Kugel. Gemeinsam schafften sie es, ihr die Kleidung auszuziehen. Am ganzen Körper hatte sie blaue Flecken. Als sie sich wieder erholt hatte, verließen die drei den Ort und zogen ins Barrio um. Die Nachbarn, Frauen mit verschlossenen Gesichtern und ihre Männer, standen in den düsteren Eingängen ihrer Hütten und beobachteten ihren Abgang, ohne ein Wort zu sagen. Fay blickte stur geradeaus, sie schritt mit erhobenem Kopf davon, hinter ihr Demi und Baz. Fay erklärte, im Barrio seien sie geschützt. Sie kenne dort einen Mann, Señor Moro, dem bräuchten sie bloß ein bisschen von ihrem Geld zu geben, dann würde sie keiner anrühren. Baz’ Vermutung ist, dass wahrscheinlich jeder im Barrio an Señor Moro Geld zahlen muss.
    Baz durchquert eilig das Labyrinth des Barrio, bis sie bei Mama Bali ankommt, einer schäbigen Eckkneipe, deren Raum von Mama Bali selbst fast ganz ausgefüllt wird, denn sie ist so dick wie ein Kürbis. Baz bezweifelt, dass sie ihre Hütte je wird verlassen können, es sei denn, sie würde um die Hälfte schrumpfen, sonst bliebe sie nämlich einfach stecken. Und wer im Barrio stecken bleibt, dem kommt keiner zu Hilfe. Es gibt dort nicht besonders viele warmherzige Leute, aber Mama Bali ist trotzdem gut zu ihnen. Bereitwillig gibt sie den Kindern dies und jenes zu trinken, versucht nicht, ihnen so viel Geld abzunehmen, als wären sie Millionäre, und macht ihnen auch sonst keinen Ärger.
    Irgendwann behauptete sie, sie sei früher mal Tänzerin gewesen. Daraufhin meinte Demi, wenn sie eine Tänzerin sei, dann sei er der Präsident der Vereinigten Staaten. Mama Bali gab zurück, wenn er so schlau sei, wie er ihr immer erzähle, dann könne er vielleicht mal Präsident werden, aber höchstens Präsident der Sprücheklopfer. Das fände er gar nicht so übel, erklärte Demi, er wolle ja eh sonst nirgendwohin, das Barrio sei seine Heimat. Mama Bali machte sich nicht die Mühe, darauf zu antworten, aber ihr Gesichtsausdruck verriet, dass sie das nicht für besonders schlau hielt.
    An ihren Wänden hängen Bilder von Tänzern und Tänzerinnen, und in einem Punkt hat Demi recht: Keiner von ihnen ist so dick wie Mama Bali. Die Arme der Tänzer sind ausgestreckt wie Flügel und ihre Körper gebogen, als würden sie schweben. Im Barrio tanzt niemand – nicht genug Platz, um auch nur eine Katze herumzudrehen; Zeit auch nicht, keine Zeit für irgendetwas, das nicht Essen in den Bauch oder Geld in die Tasche bringt. Baz träumt davon, dass sie sich eines Tages ins Landesinnere davonstehlen, wo sie ganz viel Platz haben, und vielleicht wird sie dann mal versuchen, so zu tanzen wie die Leute auf den Bildern.
    Als Baz die Kneipe betritt, sitzt Demi an einem der beiden Tische. Im Hinterzimmer ist Mama Bali am Kochen, singt mit ihrer Krächzstimme vor sich hin und macht ab und zu eine Bemerkung in Richtung Demi. Demi schiebt Baz einen Stuhl heran. Sie spürt, dass er aufgeregt ist, aber genau wie sie lässt er sich nichts anmerken. »Hast rennen müssen?«, fragt er, die Stimme so weit gesenkt, dass sie praktisch über den Fußboden kriecht.
    »Der Uniformtyp hätt mich beinah geschnappt, Demi. Die halbe Straße war hinter mir her. Weißt du, warum? Das Mädchen hat mitgekriegt, wie du mir die Schachtel gegeben hast.«
    Demi runzelt die Stirn und zuckt gleichzeitig mit den Schultern, so als hätte er mit der Sache nichts zu tun, aber Baz weiß, dass er das gar nicht gerne hört. Er hält sich für zu raffiniert und zu fix, um sich von kleinen Mädchen ertappen zu lassen. Baz muss über seine Eitelkeit lächeln. »Wirst wohl ’n bisschen langsam im Alter, Demi.«
    »Kein Stück werd ich langsam. Vielleicht bist du zu schnell los und da hat sie dich gesehn. Bist halt immer zu ungeduldig.«
    »Quatsch. Meinst du, ich steh drauf, rennen zu müssen und mich von dem Typen abgreifen zu lassen, damit er mich ins Schloss steckt? Kein Mensch hat mich gesehn und das weißt du. Nee, Alter, du bist halt einfach nicht
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