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Diebe

Diebe

Titel: Diebe
Autoren: Will Gatti
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rennen.
    Inzwischen haben sie längere Beine und sind viel schneller geworden. Sie sind ein gutes Team, jeder weiß meist schon im Voraus, was der andere vorhat. Baz weiß, wohin Demi sich jetzt aufmachen wird, nämlich zu der Straße mit den supereleganten Geschäften, wo die Türen im Vorbeigehen wie von Zauberhand aufschwingen und man plötzlich das Zittern kriegt, weil die herausströmende Luft so kalt ist wie Hexenatem. Wirklich wahr. Und in diesen Läden gibt es mehr Schmuck, als man sich vorstellen kann, aber wenn man nicht aussieht wie jemand, dem das Geld aus den Taschen quillt, kann man nicht mal ins Schaufenster blicken, ohne dass einem irgendein Wachmann über die Schulter atmet.
    Demi wartet jetzt an der Ecke. Baz geht hinüber auf seine Straßenseite, bleibt dann aber ungefähr zwanzig Schritte von ihm entfernt stehen, direkt an der Mündung einer schmalen Gasse. Sie weiß, er hofft auf eine glückliche Gelegenheit; vielleicht kann er sich ein Päckchen mit einem kostbaren Schmuckstück drin schnappen.
    Die beiden warten.
    Hin und wieder fahren Taxis vor, reiche Männer und Frauen steigen ein. Die Päckchen hängen an ihnen wie exotische Früchte.
    Sie warten.
    Fünf Minuten. Baz ist kribbelig. Es dauert schon zu lange. Eben hat sie einen Streifenwagen ganz langsam vorbeifahren sehen. Sie tritt zurück in den Schatten, ist sich aber sicher, dass Demi auffallen wird – auch wenn er gut aussieht, gehört er einfach nicht hierher. Kinder kommen normalerweise nicht in diesen Stadtteil, jedenfalls nicht allein.
    Dann passiert es.

2
    Als Baz die Frau mit dem großen gelben Hut, dem eng anliegenden Rock und den goldenen Armreifen am Handgelenk aus dem Geschäft kommen sieht, weiß sie sofort, dass das die Gelegenheit ist, auf die Demi gewartet hat. Die Frau trägt in der einen Hand ein paar schicke Tragetaschen, in der anderen eine kleine Schachtel. Im Schlepptau hat sie ein niedliches kleines Mädchen mit niedlichen flachsfarbenen Haaren, das an einem Wassereis leckt und auf die Frau einplappert. Doch die hat im Moment nur Augen für ihre Schachtel. Ein Diamant, überlegt Baz. Vielleicht auch eine Perle.
    Wenn Demi zuschlagen will, dann muss er es jetzt tun, in den paar Sekunden zwischen der Ladentür und dem Bordstein.
    Baz beobachtet, wie die Frau mit dem gelben Hut die kleine Schachtel in eine Umhängetasche steckt, die sie sich unter den Arm geklemmt hat, und ein Taxi herbeiwinkt. Die Tür des Taxis schwingt auf, und als die Frau sich mitsamt ihren Tragetaschen und ihrer kleinen Tochter an den Passanten vorbeibugsiert, ist Demi zur Stelle, hebt ein heruntergefallenes Päckchen auf und reicht es der Frau, dann rückt er zur Seite, damit sie ins Taxi steigen kann, und macht ihr die Tür zu. Als er sich wieder zurückzieht, sieht Baz die kleine Schachtel in seiner rechten Hand. Reine Zauberei, denkt sie.
    Aber das kleine Mädchen hat etwas gemerkt. Das Gesicht an der Wagenscheibe, ruft sie etwas und deutet mit dem Finger nach draußen. Doch Demi ist längst auf und davon und bahnt sich rasch einen Weg durch die Menschenmenge. Als die Frau aus dem Taxi steigt, wie wild mit den Armen wedelt, lauthals nach der Polizei ruft und der Wachmann aus dem Laden gelaufen kommt, ist Demi bereits an der Gasse vorbei und Baz hat die kleine Schachtel in der Hand. Er schaut nicht zurück, um sich zu vergewissern, dass bei ihr alles in Ordnung ist, sondern sprintet einfach über die Straße und springt hinten auf eine fahrende Straßenbahn auf. So arbeiten die beiden. So hat Fay es ihnen beigebracht.
    Aber das kleine Mädchen hat scharfe Augen. Es hat genau mitgekriegt, in welche Richtung Demi gelaufen ist und wie er an der Gasse einen Schwenk gemacht hat. Vielleicht hat das Mädchen auch Baz gesehen, denn die hat irgendwie das Gefühl, dass die ganze Straße zu ihr herüberschaut. Da durchschneidet auch schon das scharfe Geräusch von Trillerpfeifen die Luft, und jetzt wartet sie nicht mehr ab, wie es weitergeht, sondern macht auf dem Absatz kehrt und rennt, die kleine Schachtel fest in der Hand, so schnell sie kann, die lange, schmale Gasse hinunter. Jetzt müsste man eine Tasche oder einen Beutel haben, worin man die Schachtel verstecken könnte. Hat sie aber nicht. Sie jedoch einfach wegzuwerfen, das kommt ihr gar nicht erst in den Sinn. So etwas doch nicht. Vielleicht ist es das Kostbarste, was sie und Demi je in die Finger bekommen haben.
    »He! Du! Bleib stehen!«
    Baz hat nicht die Absicht, stehen zu bleiben. Sie
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