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Diebe

Diebe

Titel: Diebe
Autoren: Will Gatti
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Geheimplatz, wo sie hingehen, wenn sie ihre Beute begutachten wollen, bevor sie sie Fay bringen. Nachdem sie sich vergewissert haben, dass sie keiner beobachtet, pirschen sie sich zur Rechten von Mamas Küche einen überdachten Weg entlang, gehen eine Treppe hoch, über einen Flur, vorbei an einem Raum voller Männer und Frauen, die mit Würfeln und bunten Stäbchen spielen, klettern aus einem Fenster hinaus und dann weiter zu einem Gebilde, das fast wie eine Insel aussieht – eine mit blauen Ziegeln bedeckte Kuppel, die aus einem Meer von Blechdächern herausragt. Vielleicht war das einst eine Kirche oder eine Moschee – früher mal.
    Sie lehnen sich an die Dachschräge. Baz wickelt die kleine Schachtel aus den T-Shirts und reicht sie Demi. Er hält sie in der Hand. »Na, ham wir jetzt Glück oder nicht, Baz?«
    »Mach schon«, sagt sie ungeduldig.
    Demi öffnet den Deckel und fingert behutsam einen Weißgoldring mit einem Edelstein, so groß wie eine Wachsbohne, aus der Schachtel. Der Edelstein fängt das Sonnenlicht auf; es ist, als würde er im Blau des Himmels und im noch tieferen Blau der Dachziegel erzittern.
    Baz blinzelt und macht große Augen, Demi bläst die Backen auf. »Was für’n Klunker, Baz.«
    Einen Augenblick lang hat Baz das Gefühl, der Edelstein könne sie in sich hineinziehen, in seine Welt der Reinheit und kühlen Bläue, aber dann machen sich wieder die Hitze und der dichte, schweißige Geruch des Barrio bemerkbar. »Sind wir jetzt reich?«, fragt sie und sieht flüchtig die ländliche Gegend vor sich, von der sie träumt. »Vielleicht bringt uns das von hier fort, Demi. Was meinst du? Wär das möglich?«
    »Vielleicht. Kann schon sein. Eins ist jedenfalls sicher: Fay wird das Ding gefallen.«
    »Der gefällt alles, was mit Geld zu tun hat«, sagt Baz unverblümt.
    »Raoul wird garantiert neidisch, weil wir so gut waren.«
    Baz hat Raoul ganz gern. Er ist ein bisschen jünger als Demi, gibt sich aber immer mächtig Mühe, besser zu sein als er. Keine Chance jedoch, dass er das schafft; dazu ist er noch zu langsam. Und zu dick, obwohl keins von den Kindern besonders viel zu essen kriegt. »Du spuckst einfach zu große Töne, Raoul«, sagt Fay. »Pass bloß auf, dass dein Geplapper nicht in falsche Ohren kommt. Lass dir da mal von Baz ’n Tipp geben. Die ist so still wie ’n Safe von innen. Die behält ihre Geheimnisse für sich. Mach’s wie sie, Raoul, dann bist du auf der sicheren Seite.« Stimmt. In Fays Gegenwart verhält sich Baz immer still, sie spricht nicht viel, höchstens vielleicht mit Demi. Raoul schwört hoch und heilig, dass auch er den Mund halten kann, aber Baz weiß, ein Junge wie er muss besonders gut aufpassen – ein Gesicht, das immer lächelt, fällt einfach zu sehr auf.
    Demi steckt den Ring weg. Die beiden machen sich auf den Weg durchs Barrio, bleiben dabei, so lange es geht, auf den Dächern und halten sich in Richtung Fluss. Erst in der Nähe ihrer Unterkunft müssen sie von den Dächern herunter und sich durch Gassen quälen, die immer enger werden und wie Schlangen ineinandergewunden sind. Sie überqueren einen breiten, ausgetrockneten Graben, in dem lauter Fliegen summen. Das sind jetzt heimatliche Gefilde. In diesem Graben floss früher noch Wasser und trug allerlei Unrat und Abfall von den Großmärkten in Richtung Fluss. Als Baz und Demi kleiner waren, erforschten sie den ganzen Weg entlang des Grabens und zwängten sich dabei in die Abflussrohre, die zu den leer stehenden Gebäuden führten. Nicht zu glauben, dass sie so etwas Bescheuertes gemacht haben; wahrscheinlich war es bloß eine Mutprobe. Inzwischen hält das Leben genug Mutproben bereit, denkt Baz, auch ohne dass man wie eine Ratte durchs Abflussrohr kriecht.
    Als sie den Graben hinter sich haben, gelangen sie zu einem alten, baufälligen Lagerhaus – das ist ihr Zuhause. Das Gebäude sitzt teilweise auf verfaulten Holzpfeilern und neigt sich in einem völlig verrückten Winkel über das Flussbett, so als würde es jeden Moment abstürzen. Baz macht sich darüber keine Gedanken. Das Haus sieht noch genauso aus wie vor über sechs Jahren, als sie, Demi und Fay hierherzogen.
    Um ihre Ankunft anzukündigen, ziehen die zwei an der Klingelstrippe, steigen die Treppe hinauf zum unteren Stockwerk, gehen geduckt durch einen kleinen Eingang und erklimmen eine provisorische Leiter. Schließlich stehen sie in einem dunklen, stickigen Flur, direkt vor Fays Bude.
    Aber die Tür ist zu.
    Baz packt Demi am
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