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Die Zweitfrau

Die Zweitfrau

Titel: Die Zweitfrau
Autoren: Gabriele Ploetz
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Luft. Nun ist er aber nicht mehr in der Lage selbst zu gehen.
    „Macht es dir etwas aus, wenn du mich im Rollstuhl fahren musst?“
    Was für eine Frage! Ich hole den Rollstuhl und wundere mich dann, dass Peter immer noch auf seinem Bett sitzt. Ich bleibe abwartend stehen, da deutet er mit den Fingern auf seine Füße. Wortlos. Ich schaue verdutzt, begreife nicht, was er mir sagen will. Endlich begreife ich doch: ich soll seine Schuhe bringen.
    Als ich sage:
    „Oh, ich soll die Schuhe holen“, lacht er lauthals. Sein ganzes Gesicht strahlt vor Vergnügen. Ich hole also die Schuhe, ziehe sie ihm an und dann „rollen“ wir los, unsere gewohnte Strecke. Es ist ein sehr schöner Tag. Die Sonne scheint schon am Vormittag warm auf uns herab und es weht ein laues Lüftchen. Ungefähr in der Mitte unserer Strecke bittet Peter darum, dass wir etwas Halt machen. Es gibt eine Bank, auf die ich mich setzen kann, unter einem Baum und er hat seine Sitzgelegenheit ja dabei. Ich drehe den Rollstuhl so, dass ich neben ihm sitzen kann und nehme seine Hand. Es ist ganz still zwischen uns. Er blickt auf seinen Schoß, sagt nichts. Dann plötzlich hebt er den Kopf.
    „Meine Einstellung zur aktiven Sterbehilfe hat sich völlig verändert.“
    „Ach Liebes“, antworte ich, „hättest du das schon vor drei Monaten gesagt, dann wären wir jetzt in den Niederlanden. Aber nun ist es zu spät.“
    Er nickt mit dem Kopf und sagt leise: „Ja, jetzt ist es zu spät und ich muss ich diesen Weg zu Ende gehen.“
    Es bricht mir fast das Herz ihn so zu sehen. So klar wird es mit diesem Satz, dass er jetzt einfach genug hat von allem. Aber es ist zu spät, um einen anderen Weg einzuschlagen. Das tut mir für ihn von Herzen leid.
    Wieder im Hospiz angekommen, legt er sich hin, ruht noch etwas vor dem Essen. Dann plötzlich schaut er mich an.
    „Ich möchte, dass du meine Kleider entsorgst.“
    Ich bin entsetzt. Seit er im Hospiz ist habe ich sein Zimmer immer nur kurze Zeit betreten. Um irgendetwas zu holen, was er benötigt oder aber um unserer Mieze zu zeigen, dass er nicht da ist. Dann bin ich immer regelrecht aus dem Raum „geflohen“. Alles riecht noch nach ihm, alles steht immer noch so da, wie es seit der Zeit steht, als er das Zimmer für immer verlassen hat. Und nun will er, dass ich die Schränke leere?
    „Wie? Die Kleider „entsorgen“?“ frage ich.
    Und da sieht er mich an und meint:
    „Ich brauche sie nicht mehr, da können wir sicher sein. Und es kann sie auch niemand tragen wenn ich tot bin. Sie sind ja für alle viel zu klein. Und du musst dir nicht einbilden, dass es leichter wird für dich, wenn ich tot bin. Ich kenne mich da aus, hab das ja schon selbst mitgemacht. Also entsorge sie sofort.“
    Schweren Herzens verspreche ich es ihm, denn ich will ihn nicht aufregen. Anschließend bringe ich ihn in den Speisesaal, wo ich mich von ihm verabschiede.
    Am Abend bin ich wieder da, bleibe auch wie immer zum Essen. Und während wir auf das Essen warten, wird eine der Bewohnerinnen gefragt, ob sie ein Glas Piccolo trinken möchte. Sie wiegt abwägend ihren Kopf und wendet sich dann an Peter:
    „Herr Scholze, kann ich Sie noch einmal verführen zu einem Glas Sekt?“
    Sie blickt mich dabei verschmitzt lächelnd an. Peter schaut sie an und sagt:
    „Natürlich, zu Sekt kann man mich immer verführen.“
    Und beide bekommen ihre Gläser gereicht und prosten sich zu. Eine unglaubliche Situation für mich. Es gibt bei beiden ja nichts mehr kaputt zu machen. Sie wissen wohin ihr Weg geht und dennoch, sie prosten sich zu, freuen sich an diesem Gläschen Sekt, das für Beide etwas Besonderes ist.
    Nach dem Essen und dem abendlichen Duschen bleibe ich noch eine Weile bei ihm sitzen. Und da dreht er sich zu mir um, sieht mich an und fängt an zu sprechen:
    „Ich möchte dir noch sagen, dass ich denke, ich habe unglaubliches Glück mit dir gehabt. Du hast nie versucht mich zu ändern und dafür bin ich dir sehr dankbar. Und es tut mir leid, was ich dir alles angetan habe. Ich habe dir so oft so furchtbar wehgetan. Trotzdem hab ich immer gewusst, dass ich mich auf dich verlassen kann, habe immer gewusst, wo du stehst. Ich liebe dich so. Es ist so schwer, dich loszulassen.“
    Ich schlucke heftig bevor ich ihm antworte:
    „Sei ganz ruhig, wenn es soweit ist, dann wirst du loslassen können, da kannst du sicher sein. Alles braucht eben den richtigen Zeitpunkt. Und wenn es noch nicht soweit ist loszulassen, dann fällt es natürlich
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