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Die zweite Wirklichkeit

Die zweite Wirklichkeit

Titel: Die zweite Wirklichkeit
Autoren: Vampira VA
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zu ihm:
    »Kreuze nie mehr meinen Weg. Niemand sollte das in Zukunft mehr tun .«
    Dann verschwand Lilith.
    Inmitten eines flirrenden und klirrenden Splitterregens sprang sie durchs Fenster hinaus. Landete meterweit darunter. Unverletzt.
    Wie damals.
    Im Traum .
    * Wie ein Tier hetzte Lilith durch die Straßen, immer weiter, irgendwohin.
    Sie fühlte sich vorangetrieben von der Kraft eines Tieres und beseelt von den Trieben eines Tieres - zumindest war dies die Version, die Lilith für sich selbst bereitgelegt hatte für das, was in ihr vorging. Sie wußte, daß es Lüge war - oder wenigstens doch nicht die ganze Wahrheit. Denn jene Kraft und Triebe gemahnten sie eigentlich an etwas anderes als ein Tier - an etwas ungleich Schlimmeres, das sie nicht einmal in Gedanken benennen wollte.
    Lilith ließ das Wohnviertel, in dem sowohl ihr als auch Harolds El-ternhaus lagen, hinter sich, erreichte geschäftigere Bereiche der Stadt. Passanten kreuzten ihren Weg, Autoreifen radierten quietschend über Asphalt, wenn sie blindlings über Straßen rannte. Sie spürte die fremden Blicke in ihrem Rücken, doch es waren weder Erschrecken noch Entsetzen darin, sondern nur Verwunderung und bisweilen Verärgerung.
    Sah denn niemand, was mit ihr los war? Wozu sie geworden war?
    Aber vielleicht verbarg sich dieses Andere ja noch unter ihrem Mädchengesicht, hinter ihrer anmutigen Gestalt, die sie ein klein wenig älter aussehen ließ als siebzehn Jahre.
    Lilith war versucht, in eines der Schaufenster zu sehen, an denen sie vorübereilte, um im Glas zu überprüfen, welchen Anblick sie bot. Aber sie tat es nicht. Weil sie fürchtete, der Anblick könnte zu grauenhaft sein - oder der Spiegel könnte sich »weigern«, sie abzubilden. Eine Möglichkeit schien ihr so unerträglich wie die andere.
    Weiter lief sie und weiter, und mit jedem Schritt, den sie tiefer ins Herz von Sydney vordrang, schien es zu wachsen: dieses Gefühl, brennend und verzehrend .
    Hunger! Oder mehr noch: Durst!
    Durst nach etwas, das sie anekelte. Und doch sehnte sie sich nach dem Elixier wie nach nichts anderem auf der Welt.
    Lilith fühlte sich innerlich zerrissen, schmerzhaft zerrissen, und selbst dieser Schmerz schien noch Öl ins Feuer ihrer Begierde zu sein, fachte sie an zu einer Größe, daß es nur noch eine Chance geben konnte, ihrer Herr zu werden: Indem Lilith ihr nachgab, sie befriedigte und tat, was ihr gestern noch unvorstellbar erschienen wäre.
    Aber sie würde es tun müssen. Nur so konnte sie dem drohenden Wahnsinn entgehen. Für eine Weile zumindest .
    Und noch etwas trieb Lilith dazu; etwas, das ihren Weg begleitete und mit jeder Sekunde lauter zu werden schien. Etwas wie der dumpfe Schlag Tausender Trommeln, arhythmisch und irrema-chend.
    Lilith erkannte nicht gleich, woher das Dröhnen rührte. Niemand außer ihr schien es zu vernehmen, wie flüchtige Blicke in die vorbeifliegenden Gesichter zeigten.
    Kein Wunder - niemand, der nicht war wie sie, konnte den Herzschlag anderer hören. Sie jedoch war verdammt dazu. Das Schlagen der Herzen sämtlicher Menschen dieser Stadt brandete gegen Liliths Ohren, wummernd und feucht, und nicht eines schlug genau im Takt eines anderen. Ein sinnezerfetzender Wirbel, den Lilith stoppen mußte, wenn sie nicht daran zerbrechen wollte.
    Vielleicht würde es besser werden, erträglicher, wenn sie wenigstens eines dieser Herzen zum Schweigen brachte.
    Lilith war verzweifelt entschlossen, es auf den Versuch ankommen zu lassen.
    * »Beth, ich hasse es, mich zu wiederholen, aber du zwingst mich dazu: Laß mich in Ruhe!«
    Seven van Kees' Tonfall troff fast hörbar zischend vor Gift. Und Beth MacKinsay ertappte sich einmal mehr bei der stillen Frage, was um alles in der Welt sie nur an diesem biestigen Weib dermaßen faszinierte, daß sie die Finger nicht von Seven lassen konnte.
    »Für eine Weile wenigstens, okay?«
    Nur wer Sevens enggesteckte Emotionsskala kannte, konnte erkennen, daß ihre Stimme jetzt um einen Deut ruhiger und versöhnlicher klang.
    Beth nahm die maisblonde Tochter holländischer Auswanderer sanft am Arm und zog sie ein wenig fort von dem verglasten Eingang des Sydney Morning Herald-Verlagsgebäudes, in dem sie beide arbeiteten: Beth MacKinsay als Redakteurin, Seven van Kees im Sekretariat.
    »Vielleicht sollten wir unsere Probleme nicht unbedingt hier diskutieren, wo unsere Kollegen ein- und ausgehen, hm?« meinte sie lächelnd. Hinter der heute rubinroten Iris ihrer Augen - einer ihrer Ticks
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