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Die zweite Stufe der Einsamkeit

Die zweite Stufe der Einsamkeit

Titel: Die zweite Stufe der Einsamkeit
Autoren: George R. R. Martin
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Verstehst du?
    Nein.
    Komm, Robb. Binde dich. Oder du wirst für immer allein sein, allein auf dunklem Felde, mit nichts als einer Stimme und einer Berührung, um dich zu trösten. Und am Ende, wenn dein Körper stirbt, wirst du nicht einmal das mehr haben. Nur eine Ewigkeit leerer Finsternis. Die Ebene, Robb, für immer und ewig. Und ich werde nicht in der Lage sein, dich zu erreichen, niemals. Aber das muß nicht sein …
    Nein.
    Oh, Robb. Ich werde schwächer. Bitte – komm.
    Nein, Lya, geh nicht. Ich liebe dich, Lya. Verlaß mich nicht.
    Ich liebe dich, Robb. Ich habe dich geliebt. Ich habe dich wirklich geliebt …
    Und dann war sie fort.
    Ich war wieder ganz allein auf der Ebene. Ein Wind kam von irgendwoher, und er wischte ihre verklingenden Worte fort von mir, hinaus in die kalte Weite der Unendlichkeit.
     
    Am nächsten freudlosen Morgen war die Außentür aufgeschlossen. Ich fuhr im Turm hoch und fand Valcarenghi allein in seinem Büro. „Glauben Sie an Gott?“ fragte ich ihn.
    Er sah auf, lächelte. „Sicher.“ Er sagte es leichthin. Ich las ihn. Es war ein Thema, über das er sich nie Gedanken gemacht hatte.
    „Ich nicht“, sagte ich. „Und Lya hat auch nicht an ihn geglaubt. Die meisten Talente sind Atheisten, wissen Sie. Vor rund fünfzig Jahren wurde auf Alt-Erde ein Experiment durchgeführt. Es wurde von einem starken Talent organisiert, einem Mann namens Linnel, der außerdem sehr religiös war. Er hat geglaubt, daß er mit Hilfe von Drogen und durch eine Vereinigung der stärksten Talente der Welt etwas erreichen könnte, das er das universale Ja-ich-lebe nannte. Das auch unter der Bezeichnung Gott bekannt ist. Das Experiment war ein entsetzlicher Fehlschlag, aber irgend etwas ist dabei passiert. Linnel wurde verrückt, und die anderen kamen mit der Vision eines grenzenlosen, dunklen, gleichgültigen Nichts davon, einer Leere ohne Vernunft oder Form oder Sinn. Auch andere Talente haben etwas Ähnliches gefühlt und manchmal auch Normale. Vor Jahrhunderten gab es da einen Dichter namens Arnold, der etwas von einer dunklen Ebene geschrieben hat. Dieses Gedicht ist in einer der alten Sprachen geschrieben, aber es ist es wert, gelesen zu werden. Es zeigt – Angst, glaube ich. Eine Art Urangst des Menschen, Angst vor dem Alleinsein im Kosmos. Vielleicht ist es nichts anderes als die Angst vor dem Tod, vielleicht ist es mehr. Ich weiß nicht. Aber es ist ein Urinstinkt. Alle Menschen sind für immer allein, aber sie wollen nicht allein sein. Deshalb sind sie ständig auf der Suche, versuchen, mit anderen über die Leere hinweg in Kontakt zu kommen. Manchen Leuten gelingt das nie, einige schaffen hier und dort einmal einen Durchbruch. Lya und ich waren glücklich. Aber Glück ist nie von Dauer. Am Ende ist man wieder allein – zurück auf dunklem Felde. Verstehen Sie, Dino? Verstehen Sie ?“
    Er lächelte ein amüsiertes, schmales Lächeln. Nicht verächtlich – das war nicht seine Art –, sondern einfach überrascht und ungläubig. „Nein“, sagte er.
    „Dann versuchen Sie es noch einmal. Die Menschen sind unablässig auf der Suche – auf der Suche nach etwas, auf der Suche nach jemandem. Reden, Talent, Liebe, Sex, alles ist Teil der gleichen großen Suche. Und genauso die Götter. Der Mensch erfindet Götter, weil er vor dem Alleinsein Angst hat, weil er sich vor einem leeren Universum fürchtet, weil er sich vor dieser dunklen Ebene fürchtet. Das ist der Grund, warum unsere Leute konvertierten. Dino, das ist es, warum sich die Leute bekehren. Sie haben Gott gefunden – oder zumindest das Gottähnlichste, was sie jemals finden können. Die Vereinigung ist eine Multiintelligenz, ein unsterblicher, milliardenfacher Geist, eine Wesenseinheit in Liebe. Die Shkeen sterben nicht, verdammt. Kein Wunder, daß sie den Begriff eines Lebens nach dem Tod nicht kennen. Sie wissen, daß es einen Gott gibt. Er mag vielleicht nicht das Universum geschaffen haben, aber er ist Liebe, reine Liebe, und man sagt doch, daß Gott die Liebe ist, nicht wahr? Oder vielleicht ist das, was wir Liebe nennen, ein winziges Stück von Gott. Es ist mir egal, was immer es auch ist – die Vereinigung ist es. Das Ende der Suche für die Shkeen, und auch für die Menschen. Wir sind ihnen so ähnlich, wir sind ihnen so ähnlich, daß es weh tut.“
    Valcarenghi gab sein übertriebenes Seufzen von sich. „Robb, Sie sind überarbeitet. Sie hören sich an wie einer von den Gebundenen.“
    „Vielleicht sollte ich gerade
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