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Die zweite Kreuzigung

Die zweite Kreuzigung

Titel: Die zweite Kreuzigung
Autoren: Aufbau
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gebe sie immer noch, und sie sei von einem Stamm seiner Brüder, einem Zweig der Kel Ajjer von Ghat, bewohnt. Aber kein Forscher der modernen Zeit hatte den Ort je zu Gesicht bekommen. Auf keiner Karte war er verzeichnet, es sei denn im Kopf mancherLeute, wo seine Koordinaten ständig wechselten. In der Royal Geographical Society machten seriöse Männer in Schlips und Kragen ihre Witze über Ain Suleiman und die verborgene verwunschene Stadt.
    Aber Gerald Usherwood glaubte daran. Er hatte genügend Tamasheq gelernt, um mit den Tuareg in ihrer eigenen Sprache zu verkehren, was von den Herren in Schlips und Kragen niemand konnte. Gerald hatte Vertrauen zu den Wüstenbewohnern gefasst. Ain Suleiman sei immer noch da, meinten sie, aber niemand wisse den Weg dorthin. Es liege im schlimmsten Teil der Wüste, sei nicht einmal mit Kamelen erreichbar und vielleicht schon völlig versandet. Er spürte, dass sie etwas vor ihm verbargen. Er nahm an, sie wussten den Weg genau, hielten es aber für klüger, sich nicht mit Italienern, Deutschen oder Briten einzulassen. Wenn sie etwas geheim hielten, so glaubte er, dann mussten sie gute Gründe dafür haben.
    Kaum hatten sie ihre Sandbrillen aufgesetzt, da schlug der Sturm auch schon zu. Soeben noch unter blauem Himmel, fanden sie sich plötzlich wie in dickem Nebel wieder, wo man kaum noch fünf, sechs Meter weit sehen konnte.
    Bei fest verschlossenen Türen und Fenstern wehrten die Fahrzeuge die schlimmste Wirkung des Sandsturms ab, aber der Staub, fein wie Puder, kroch durch jede Ritze und jeden Spalt, die er finden konnte. Nach und nach legte er sich als feine Schicht auf alles in der Kabine. Jedermann schlang seine
Gutra,
das traditionelle arabische Kopftuch, so fest um den Kopf, wie er nur konnte. Doch der Sand war nicht aufzuhalten. Er fand seinen Weg hinter die Schutzbrille, in Ohren, Nase und Kehle, durch die Uniform bis in die Stiefel der Soldaten, wo er heftig scheuerte.
    Gerald hatte schon so viele Sandstürme hinter sich, dass er in seiner Lunge eine ganze Wüste vermutete. Er wusste, dass man nichts anderes tun konnte, als den knirschenden Sand zwischen den Zähnen zu ignorieren, die tränenden Augen geschlossen zu halten und das Ganze auszusitzen. Dieser Sturm aber war einer der schlimmsten, den er je erlebt hatte, das wurde ihm sofort klar. Er konnte einen Tag dauern oder auch eine Woche. Niemand vermochte das genau zu sagen.
    Alle Männer der Patrouille waren alte Hasen, die sich mit Wüstenwinden auskannten. Zur LRDG wurde keiner genommen, der nicht mit ein paar Unannehmlichkeiten zurechtkam. Die Briten, Neuseeländer, Australier oder Inder gehörten allesamt zu der merkwürdigen Art Mensch, der die leeren Weiten und die glühende Hitze der Sahara mehr bedeuteten als ihre Heimatorte, ob nun die Home Counties bei London, das neuseeländische Wellington oder das indische Calcutta. Sie suchten geradezu diese Ruhe, aber auch die überall lauernde Gefahr. Da saßen sie also und warteten, bewahrten Funkstille, sangen die neuesten Hits und erzählten sich Geschichten von alten Schlachten, die sie geschlagen, und Frauen, die sie im Bett gehabt hatten.
    Der Sturm tobte drei Tage lang. Am dritten Tag kurz nach sechs Uhr morgens war er dann abrupt vorbei.
    »Danken wir Gott dafür«, sagte Gerald. Zu Hause in Gloucestershire hatte er keine Zeit für Gott übrig. Zur Kirche ging er nur, weil er der Gutsherr am Ort war und wusste, dass er auf seinen Namen und die Familie Rücksicht nehmen musste. Aber hier in der Wüste, wo man so unendlich weit blicken konnte und nachts das ewige Licht endloser Galaxien vom Himmel strahlte, hatte er den Wegzum Glauben gefunden. Wäre er nicht mit der Church of England aufgewachsen, dann wäre aus ihm wohl ein fanatischer, asketischer Moslem geworden, dessen Herz die Rauheit dieser Gegend gehärtet hatte.
    Auf jedem der beiden LKWs war über dem Armaturenbrett ein Sonnenkompass montiert. Zusammen mit den neuesten Navigationstafeln der Royal Air Force bei Tag und den Theodoliten bei Nacht gab der Sonnenkompass den Patrouillen die Möglichkeit, sich in bislang auf keiner Karte erfasstem Gelände zu bewegen. Im Handumdrehen hatten sie sich wieder orientiert. Etwas länger dauerte es schon, die Fahrzeuge aus dem angewehten Sand auszugraben und für den Start Sandmatten auszulegen. Dann klopften sie sich gegenseitig ab, so gut es ging, und nahmen ihre Fahrt in Richtung Westen wieder auf.
    Eine Kette riesiger Dünen, jede um die hundert Meter hoch,
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