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Die zweite Kreuzigung

Die zweite Kreuzigung

Titel: Die zweite Kreuzigung
Autoren: Aufbau
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drängte sie von der geplanten Route weiter nach Süden ab. Sie rollten durch eine völlig unbelebte Gegend unter einem grausamen Himmel, an dem kein Flugzeug, ja nicht einmal ein Vogel sich zeigte. Irgendwo im Norden war ein Krieg im Gange, aber hier glaubte man, dass alle Kanonen schwiegen. Es war, als hätte der Krieg sein Ende gefunden, und nichts sei geblieben als diese Ödnis und der allgegenwärtige Tod.
    Es dämmerte schon, als Staff Sergeant Chippendale, der Beifahrer und Schütze auf Geralds Chevrolet, einen leisen Pfiff ausstieß. Max Chippendales größte Begabung, die ihn auch zur LRDG gebracht hatte, war sein Adlerblick. Mit dem Feldstecher suchte er ständig den Horizont vor ihnen ab, vor allem, wenn sie den Kamm einer Düne erreicht hatten und sich langsam auf deren Westflanke hinabrollen ließen.
    Aufgeregt packte er den Fahrer beim Arm.
    »Halt die Karre an, du Trottel!«, rief er aufgeregt. »Weary« Leary, der Kiwi aus Neuseeland, den Gerald sich von Patrouille T ausgeliehen hatte, riss das Steuer herum, womit er das Fahrzeug direkt vor dem steilen Abhang zum Stehen brachte.
    »Was ist los?«, fragte der Lieutenant von hinten.
    »Bin mir nicht sicher, Chef. Da vorn ist etwas. Einen Moment noch.«
    Chippendale, der vor dem Krieg Professor für Altphilologie in Oxford gewesen war, prüfte immer wieder das weite Land, das vor ihnen lag. Dabei kräuselte er die Lippen und murmelte etwas kaum hörbar vor sich hin. So war es, wenn etwas Chips Chippendale sehr erregte. Er reichte Gerald das Glas, der es nahm und damit hinaus auf die Düne sprang.
    »Mittlere Entfernung, Chef. Sieht aus, als hätten wir es gefunden.«
    Das hatten sie in der Tat. Sie hielten direkt auf die Oase zu. Wäre der Sturm nicht gewesen, dann hätten sie sich weiter nördlich auf ihrer alten Route bewegt und wären glatt daran vorbeigefahren.
    »Ain Suleiman«, flüsterte Gerald. »Salomos Quelle.«
    Er ahnte nicht, was dort noch im Wüstensand vergraben lag. Ein Geheimnis, viel größer als nur eine Oase oder eine versunkene Stadt, Unheil verkündender als eine Wüstentrasse zum Sieg in einem Krieg, tödlicher als Rommels Panzer oder alle Bataillone von Hitlers Reich.
    Ein Windstoß trieb weiter unten an der Westflanke der großen Düne den Sand vor sich her. Gerald stieg wieder ein.
    »Wir wollen hinunterfahren und uns das anschauen«, sagte er.
    Leary schwang das Steuerrad wieder herum, legte den ersten Gang ein, ließ den Chevrolet sachte über den Dünenkamm kippen und langsam nach unten rollen.
    Ain Suleiman erwartete sie, eingehüllt in jahrhundertelanges Schweigen, die fernste aller Ansiedlungen, wo Menschen lebten.

ZWEITES KAPITEL
Ain Suleiman
    Westliche Wüste
    18. Mai 1942
     
    Als sie sich der Oase näherten, erwachte der verschlafene Ort durch das Heulen der Motoren zu hektischem Leben. Hunde bellten. Männer stürzten aus den niedrigen
Zaribas
hervor und zogen blaue Tücher über die Gesichter. Andere kamen von weiter weg herbeigelaufen, wo sie die Kamele versorgt hatten. Ihnen folgten Frauen in schwarzen Tüchern und Kinder jeden Alters, einige bekleidet, die jüngsten nackt.
    Gerald schoss plötzlich durch den Kopf, dass er und seine Männer die ersten fremden Wesen sein könnten, die diese Menschen je gesehen hatten. Dann mussten die LKWs, mit denen sie von der Düne herab auf sie zurollten, ihnen wie schreckliche Monster aus den Tiefen der Hölle vorkommen. Er befahl Leary anzuhalten und gab auch Bill Donaldson im zweiten Chevvy das Zeichen, auf die Bremse zu treten. Bei diesem Manöver versanken die Räder fast bis zu den Achsen im weichen Sand.
    »Motor abschalten!«, befahl Gerald. Beide Maschinen verstummten. Schweigen breitete sich aus, so tief und weit wie der Ozean, nur unterbrochen von den Schreien der Kamele und dem Gebell der Hunde. Über der Oase kreisten Hunderte kleiner Vögel. Im Westen färbte sich die Sonne rotgolden und sank langsam in den heißen Dunstschleier herab, der über dem ganzen Horizont lag.
    Gerald stieg aus und befahl den anderen, es ihm gleichzutun, aber die Waffen an Bord zu lassen.
    »Tut nichts, um die Leute zu erschrecken«, ordnete er an. »Das Reden überlasst mir. Clark, Sie bleiben hier und sichern uns mit dem Maschinengewehr.«
    Sie setzten sich in Bewegung. Gerald schritt als Erster selbstsicher auf die Gruppe von Tuareg-Männern zu, die sich vor den Frauen und Kindern zu deren Schutz aufgebaut hatten. Sie alle waren in den
Tagelmoust
gehüllt, die indigofarbene aufwendige
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