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Die Zusammenkunft

Die Zusammenkunft

Titel: Die Zusammenkunft
Autoren: Lee Bauers
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Mutter als auch als Tochter ›fürsorglich und vertrauensvoll, verantwortungsbewusst und bodenständig‹ – so jedenfalls stand es auf der Tafel Schokolade, die ihre Familie ihr vor ein paar Tagen g eschenkt hatte. Als Aufmunterung und als Bestätigung für die feurige Ansprache, die sie vor ihnen gehalten hatte, als sie erfuhr, dass ihr Chef sie nach nur achtzehn Monaten entlassen wollte. Diese verdammte Wirtschaftskrise!
    Sie lag da, ganz ruhig, und spürte keine Existenzäng ste. Sie spürte keine Angst davor, in wenigen Monaten das hart erarbeitete Haus zu verlieren, das sie im Alleingang für ihre kleine Familie erarbeitet hatte, damit ihre Tochter in ordentlichen Verhältnissen aufwachsen konnte. Was sie spürte, war etwas anderes, eine Unruhe, die sie kannte, die aber jetzt stärker war als sonst. Es war, als spüre sie die Ruhe vor dem Sturm, die Ruhe vor einer Schlacht, von der sie schon jetzt wusste, dass sie sie gewinnen würde. Den Preis kannte sie nicht, die Grenzen, die sie überschreiten musste, um zu überleben, ebenfalls nicht. Sie wusste nur, dass es wieder einmal so weit war aufzustehen und sich bereit zu machen, wie schon so oft. Nur, dieses Mal war sie nicht mehr allein! Dieses Mal waren ihre Tochter und ihre Mutter da, und sie konnte noch nicht abschätzen, ob diese beiden Stärke oder Schwäche bedeuteten. Sie konnte nur hoffen, dass sie nicht zu Opfern wurden.
    Das Feuer im Kamin ging aus, aber es war noch zu früh, um ins Bett zu gehen. Sie ging nicht gern ins Bett. Es war groß und es war leer, war es eigentlich immer schon gewesen. Die knapp sieben Ehejahre, in die sie sich gestürzt hatte, waren unerfüllt geblieben, bis auf die Geburt ihrer Tochter, die sie unbedingt hatte haben wollen.
    Sie hatte diese Ehe gebraucht, diese Höhle, von der sie angenommen hatte, sie könne sich in ihr verkriechen, um wieder zu Kräften zu kommen. Zu viel war in Berlin auf sie eingestürzt; und dann diese verdammte Schwäche, dieser Körper, der nicht zu ihr zu gehören schien . Diese Zeit, in die sie einfach nicht hineinpasste. Da war ihr die Ehe wie ein sicherer Hafen erschienen, aber dieses verdammte Gefühl, das ihr immer wieder sagte, sie sei nicht die, die ihr morgens im Spiegel mürrisch ins Gesicht blickte, war nicht fortgegangen.
    Sirona stand auf, das Knie schmerzte, wie immer, wenn sie Sport getrieben hatte, denn sie war wieder ei nmal maßlos gewesen. Anstatt nach der sechswöchigen Pause langsam zu starten, hatte sie es übertreiben müssen. Sie konnte offenbar nicht vernünftig sein, nicht, wenn es um sie selbst ging.
    Knapp dreißig Jahre lange hatte sie nur im Sitzen am Schreibtisch gearbeitet, in einem Job, den sie erniedrigend fand. Na gut, er hatte ihr das nötige Kleingeld verschafft, um ihrer Familie ein Zuhause zu geben. Aber mehr gab er ihr nicht.
    Sirona war sich ihr Leben lang völlig deplatziert vorgekommen. Sie hatte rebelliert, war eine unkontrollierbare Jugendliche gewesen. Sie musste lachen. Alkohol, Zigaretten, der ein oder andere Joint, nie hatte sie das Gefühl gehabt, sich schonen zu müssen. Ein Arzt hatte ihr geraten, ihre „selbstzerstörerische Aggressivität“ aufzugeben. Aggressivität? Na, gut, meinetwegen, dachte Sirona. Aber selbstzerstörerisch? Nein, das war sie nie gewesen. Aber wie hätte er das wissen können? Er war ja auch nur ein Mensch.
    Sirona war nicht selbstzerstörerisch. Sie war nur nicht sicher, was sie war und manchmal nicht einmal, wer sie war, aber das hatte sie beschlossen, tunlichst für sich zu behalten. Schließlich war sie nicht alleine. Da waren Kim und ihre Mutter, die Baufinanzierung und das überzogene Konto. Nein, darüber, dass sie Antworten suchte auf Fr agen, die sich in ihre Träume drängten, würde sie mit niemandem sprechen. Mit niemandem.

S ie erinnerte sich an jenen wunderbareren Sommertag im Juli 2005. Der Garten begann gerade in allen Farben zu leuchten. Bevor sie ins Haus trat, schwang Sirona noch die Axt in den Hackklotz, der zerbrochene Spaten stand bereits in der Ecke. Eigentlich wollte sie nur eine Flasche Wasser aus der Küche holen und dann wieder nach draußen gehen. Sie liebte die frische Luft, das Gefühl, sich körperlich zu verausgaben. Wenn doch nur nicht immer dieser verweichlichte Körper zu früh die Notbremse ziehen würde.
    Der Fernseher lief. Wieso am helllichten Tag? Sie wollte ihn ausschalten, sie hasste Fernsehen. Wahrschei nlich hatte Kim ihn wieder angelassen.
    Dann fiel ihr Blick auf den
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