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Die Zusammenkunft

Die Zusammenkunft

Titel: Die Zusammenkunft
Autoren: Lee Bauers
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Totenschmuck. Der Repo rter erzählte etwas von einer zweitausend Jahre alten, mumifizierten Frauenleiche, deren Sargbeigaben mit den Zeichnungen auf Tongefäßen aus anderen Ländern übereinstimmten.
    Sirona setzte sich wie in Trance. Die Reporter verfol gten den Weg der Zeichnungen über Germanien, Italien bis hoch in die Mongolei. Unterwegs sei man immer wieder auf ähnliche Zeichnungen gestoßen und sogar heute würden in der Gegend um Kasachstan Volkssportarten mit denselben Waffen und demselben Gürtelschmuck ausgeübt, wie die Mumie sie bei sich trug.
    Im deutschen Robert-Koch-Institut sei es mit heutiger Technik möglich, die DNA aus einem der Röhrenknochen der Leiche zu extrahieren. Am Ende der Sendung hatten die Reporter in einer fast schon nicht mehr bewohnbaren Hochebene der Mongolei einen Nomadenstamm ausfindig gemacht, der völlig autark und von der Umwelt abg eschnitten lebte. Da die Menschen weder lesen noch schreiben konnten, wurden in diesem Stamm die Legenden noch von Mund zu Mund über Generationen weitergetragen.
    Als die Reporter sich endlich Zutritt zum Stamm ve rdient hatten, erfuhren sie, dass es dort alle paar Jahre zu einer ungewöhnlichen Geburt käme: es würde ein mongolisches Kind weiblichen Geschlechts mit blonden Haaren geboren!
    Mit diesen Worten schwang die Kamera auf ein Mä dchen mit braunen mandelförmigen Augen und hohen, typisch mongolischen Wangenknochen. Sie hatte blonde Haare. Nach langer Überzeugungsarbeit war es den Reportern gelungen, von dem Mädchen eine Speichelprobe zu bekommen.
    Sirona kannte das Ergebnis. Die Speichelprobe passte genetisch in die direkte Linie der DNA der mumifizierten Leiche, die auf dem Tisch des Robert-Koch Institutes in Deutschland auf dem Tisch lag, da war sie sicher. Aber was bedeutete das für sie? Es war wichtig, sehr wichtig, aber warum?
    Ihre Gedanken gingen noch weiter zurück, und Sirona erinnerte sich an ein Gespräch aus dem Frühjahr 1996, als sie auf dem Patientenstuhl ihres Gynäkologen gesessen hatte, der sich über ihren Mutterpass beugte, um die let zten Eintragungen vorzunehmen. Er stutzte. »Haben Sie jemals Blut gespendet?«, fragte er sie.
    »Nein, ich habe schon öfter daran gedacht, da ich auch direkt hinter der Klinik wohne, aber irgendwie … nein, habe ich nicht!«
    Er sah ihr in die Augen »Ihre Blutgruppe ist ganz außergewöhnlich selten. Normalerweise kommt diese nur in den mongolischen Gegenden vor. Wenn das ein Krankenhaus rausbekommt, müssten Sie mit einer erheblichen Nachfrage rechnen.«
    Ihre seltene Blutgruppe, die Mumie, das Mädchen mit den blonden Haaren, die Mongolei … Blödsinn, schalt sie sich, wie schon seit Jahren. Kümmere dich um deinen Job, um deine kleine Familie.
    Sie stand auf, ging in den Garten, atmete tief ein und aus und nahm den nächsten unversehrten Spaten in die Hand.
    Nicht ganz zehn Minuten später stellte sie ihn durc hgebrochen neben die Bruchstücke des alten. Na ja, dachte sie und sah zu dem kleinen Vorrat an nagelneuen Spatenstielen, den sie in einer Ecke des Gartens verwahrte. Eines Tages würde einer lange genug halten. Eines Tages.

Frühjahr 2010

    A ls Sirona im letzten Jahr erfahren hatte, dass sie ihren Job verlieren würde, hatte sie ihre Familie sofort darüber in Kenntnis gesetzt und sie gebeten, ihr aus dem Weg zu gehen. Sie hatte klare Anweisungen gegeben, welche Art Unterstützung sie benötigen würde, und diese auch eingefordert.
    Es folgten anstrengende Wochen, in denen sie ihrem inneren Drang zu kämpfen endlich voll nachgeben konnte. Sie musste sich nicht rechtfertigen für ihre Aggressivität. Täglich bekam sie zu spüren, dass ihre kleine Familie ihr blind vertraute und ihr Stolz entgegenbrachte.
    Ja, wenn sie eines gut konnte, dann war es kämpfen, wenn auch nicht auf eine Art, die sie mochte. Aber welche Art mochte sie? Die Frage konnte sie selbst jetzt, ein Jahr später und längst in ihrem neuen Job, noch nicht beantworten. Die Zeit war schwer gewesen, für sie alle, und vor allem für Kim. Heute Morgen, als sie das Frühstück gemacht hatte und Kim ziemlich verschlafen über den Tresen schaute, fragte sie: »Na, mein Schatz, hast du gut geschlafen?«
    »Nein, ich habe böse geträumt!«
    Sirona wartete ab. »Was denn? Willst du es mir erzählen?«
    »Ach, ich glaube, es war Krieg. Du warst draußen vor der Tür mit einer Pistole in der Hand … und mit mir … und du hast mit einem Mann gekämpft und hast zu mir rübergerufen: ›Einer muss sterben,
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