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Die Zeugin

Die Zeugin

Titel: Die Zeugin
Autoren: Brown Sandra
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Kendalls Schultern. »Abgesehen von mir ist deine Großmutter das letzte, was dich mit Sheridan, Tennessee, verbindet. Wenn sie stirbt, dann mußt du dieser Stadt ein für allemal den Rücken kehren, Kendall. Du mußt alle Bande lösen, mich eingeschlossen, darfst dein Glück nicht überstrapazieren.«
    Kendall wußte, wie vernünftig der Rat ihrer Freundin war, und wiegte nachdenklich den Kopf. »Großmutter hat nicht mehr lange zu leben. Ich wünschte, sie wäre zusammen mit mir hergekommen, aber sie wollte nicht mehr umziehen. Daß ich nicht bei ihr bin, bricht mir das Herz. Du weißt, wie wichtig sie mir ist.«
    Â»Und umgekehrt. Sie liebt dich. Sie hat immer dein Bestes gewollt. Wenn du glücklich bist, wird auch sie glücklich sterben. Mehr kannst du ihr nicht wünschen.«
    Kendall mußte Ricki recht geben. Ihr schnürte es die Kehle zu. »Tu mir den Gefallen und kümmere dich um sie, Ricki Sue.«
    Â»Ich rufe sie täglich an und besuche sie mindestens zweimal die Woche, wie versprochen.« Sie nahm Kendalls Hand und drückte sie aufmunternd. »Und jetzt laß mich zurück zur Party und zu dem überwältigenden Büfett. Vielleicht kann ich diesen Pillendreher zu einem weiteren Tänzchen beschwatzen. Irgendwie ist er süß, findest du nicht?«
    Â»Er ist verheiratet.«
    Â»Ach ja? Die haben Ricki Sues berühmte liebevolle Zuwendung
oft am allernötigsten.« Sie tätschelte ihre ausladenden Brüste.
    Â»Schäm dich!«
    Â»Tut mir leid, das Wort ist mir fremd.« Mit einem kehligen Lachen schob sie Kendall beiseite und öffnete die Tür. »Ich laß dich jetzt allein. Obwohl ich zu gern dableiben und zusehen würde, wie du das anstellst.«
    Â»Was denn?«
    Â»In einem Hochzeitskleid zu pinkeln.«

2. Kapitel
    Â»Wäre das alles, Miss?«
    Die Frage riß Kendall aus dem Tagtraum, in dem sie noch einmal ihre Hochzeit durchlebt hatte. Sie erinnerte sich bis in die letzte Einzelheit an damals, aber empfand keinerlei Verbindung mehr dazu, als wäre all das einem anderen Menschen oder in einem anderen Leben geschehen.
    Â»Ja, danke«, antwortete sie dem Kassierer.
    Trotz des grauenhaften Wetters drängelten sich die Kunden im Supermarkt. In den Gängen stauten sich Einkaufswagen mit allem Erdenklichen, von Rollschuhen bis zum Nudelholz.
    Â»Einhundertzweiundvierzig siebenundsiebzig. Bar, Scheck oder Karte?«
    Â»Bar.«
    Der junge Mann hatte sie nicht weiter beachtet. Sie war einfach eine von Hunderten Kunden, die an diesem Tag an der Kasse warteten. Falls es später zu einer Befragung käme, würde er sich bestimmt nicht an sie erinnern, sie nicht beschreiben können. Sie suchte die Anonymität.
    Als sie vergangene Nacht endlich in das Bett des Gemeindekrankenhauses von Stephensville sank, war sie müder gewesen als jemals zuvor in ihrem Leben. Ihr ganzer Leib schmerzte und pochte nach dem Unfall. Während des mühsamen Aufstiegs aus der Schlucht hatte sie sich noch mehr Schnitte und Kratzer zugezogen, die sich im Lauf der Nacht immer störender bemerkbar machten.
    Sie hatte sich verzweifelt nach Vergessen gesehnt, aber statt dessen kein Auge zugetan.

    Wer sind Sie? Wer bin ich?
    Er ist mein Mann.
    Die Sätze hallten in ihrem Kopf. Mit müden, brennenden Augen starrte sie von ihrem Kissen aus zur schallisolierten Zimmerdecke hoch, wiederholte diese Sätze unentwegt und fragte sich, ob es nun genial oder wahnsinnig gewesen war, sie auszusprechen. Jetzt konnte sie sie nicht mehr zurücknehmen, und selbst wenn es möglich gewesen wäre, hätte sie es nicht getan.
    Seine Amnesie war nur vorübergehender Art. Deshalb mußte sie die Situation nutzen, solange er sich an nichts erinnerte. Sie hoffte, auf diese Weise Zeit zu gewinnen, um Kevin und sich selbst zu retten. Schließlich galten ihre Unternehmungen allesamt und ausschließlich Kevin. Um das Baby zu schützen, würde sie jede Chance nutzen, und sei sie noch so winzig.
    Als man ihm eröffnet hatte, daß er unter Gedächtnisverlust leide, hatte er einen mittleren Aufstand veranstaltet. Er brauche vor allem Ruhe und Entspannung, um zu genesen, hatte ihm der Arzt erklärt. Ohnehin müsse er kürzertreten, damit sein Bein heilen konnte, warum also genoß er nicht den unerwarteten Zwangsurlaub? Je mehr er sich unter Druck setze, sein Gedächtnis wiederzufinden, desto langsamer
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