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Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)

Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)

Titel: Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)
Autoren: Christian Fuchs , John Goetz
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hat.
    Für Kriminalitätsbekämpfer ist das Verhältnis von Aufwand und Ertrag in kaum einem Bereich so ungünstig wie in der Sparte Terrorismus. Immer wieder mussten sich Fahnder verhöhnen lassen: «Sie wissen nicht viel über uns», spotteten RAF-Terroristen einst. «Sie haben nie wirklich durchgeblickt.» Seit 1985 konnten die Ermittler keinen der RAF-Anschläge mit insgesamt sechs Toten aufklären.
    Spätestens nach den ersten vier Hinrichtungen türkischer Kleingewerbetreibender und dem Nagelbomben-Attentat in Köln im Sommer 2004 in einer Straße mit Geschäften türkischer Kleingewerbetreibender brauchte es allerdings nicht viel Urteilsvermögen, um in diesen Fällen Fremdenhass als mögliches Motiv zu favorisieren.
    Die Beschreibung der Kölner Täter ähnelte jener im Fall Bosporus. Auch darüber hinaus gab es viele Ähnlichkeiten und sogar Parallelen. Aber die Erarbeitung einer Vergleichsanalyse zwischen dem Kölner Anschlag und der Mordserie wurde von den verantwortlichen Kriminalbeamten abgelehnt. Das war Ignorantentum: Man dürfe «Äpfel nicht mit Birnen» vergleichen, steht in einem der vielen Polizeipapiere. Anders als in den Mordfällen habe es sich bei dem Nagelbombenattentat «nicht um eine gezielte Aktion in Richtung Einzelperson» gehandelt; das Attentat sei «eine Art Globalverstoß gegen Türken» gewesen.
    Das klingt fachkundig, war aber grundfalsch. Viele der Ermittler waren Spezialisten für die Bekämpfung organisierter Kriminalität. Und sie vermuteten, hinter den Mördern steckten Drahtzieher aus dem Bereich der organisierten Kriminalität.
    Verantwortung verlangt auch die Fähigkeit, sich selbst immer wieder zu hinterfragen, Kritik zu ertragen und sich mit ihr produktiv auseinanderzusetzen. Aber schon der bloße Versuch, die These von der organisierten Kriminalität in Frage zu stellen, löste heftigen Streit unter den Ermittlern aus.
    Antworten auf die vielen Fragen nach Vorgeschichte, Pannen und Ursachen, also nach einer irgendwie nachvollziehbaren Erklärung für das große Desaster, suchen Untersuchungsausschüsse des Bundestages und der Landesparlamente in Sachsen und in Thüringen. Es gibt viele Fragezeichen, weil – nicht nur im Nachhinein betrachtet – die Fehler der Fahnder offenkundig sind.
    Vor allem das Fehlen von Bekennerschreiben dient den Ermittlern selbst als Erklärung, warum sie nicht hätten erkennen können, dass eine Terrorbande die Morde begangen hat. Die Zwickauer Mörder verzichteten nach dem Morden auf jede Erklärung und verweigerten derart auch jeden Versuch einer Rechtfertigung. Sie verschickten zwar an einige der braunen Kumpane ein Pamphlet mit dem Kürzel NSU, aber sie blieben schattenhafte Gestalten.
    In der Geschichte des Terrors hat es viele Geisterarmeen gegeben, aber eine Verbrecherbande wie den Nationalsozialistischen Untergrund, die alle Welt im Unklaren lässt über ihre Urheberschaft und Ziele, das war in Deutschland tatsächlich neu. Auch der Schrecken hatte zuvor immer seine Rituale gehabt.
    Die letzte Generation der Rote-Armee-Fraktion ging absolut konspirativ ans Werk. Um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen, versiegelten die Mitglieder ihre Handflächen mit Wundspray. Trotzdem sollte jeder sofort erfahren, dass es die RAF war, die Tod und Schrecken verbreitete. Die Terroristen verschickten Bekennerschreiben mit der Sorgfalt deutscher Notare. Sie verwendeten Briefmarken, die Frauenmotive zeigten; bei den fiktiven Absenderangaben hatte die Tarnadresse mit Bäumen zu tun. Als Stempel benutzten sie den roten fünfzackigen Stern. Wie von Sinnen schrieb die RAF seitenlange Strategiepapiere in Kleinschreibung und schlechtem Deutsch. Wenn der RAF ein Anschlag von den Behörden oder den Medien zugeschrieben wurde, den sie nicht begangen hatte, meldeten sich die Terroristen aus dem Untergrund und machten klar, dass sie es diesmal nicht gewesen seien.
    Auch der islamistische Terror, der Terror der IRA, der ETA und der Terror anderer Schattenarmeen maskierte sich gern mit öffentlichen Forderungen oder Verlautbarungen.
    Aber der rechte Terrorismus, insbesondere der Terrorismus von Kleingruppen, verzichtet oft auf jegliche Rechtfertigung. Das war schon vor der NSU so. Die Tat, der Mord: das ist ihre Erklärung. Die Mörder freuen sich klammheimlich, wenn sie ihre Ideologie, den Fremdenhass, umgesetzt haben. Das reicht ihnen.

    Dieses Buch entfaltet die Geschichte einer Terrorzelle mit vielen Details, auf deren Recherche die Autoren viel Energie und
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