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Die Zeitwanderer

Die Zeitwanderer

Titel: Die Zeitwanderer
Autoren: Stephen R. Lawhead
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Kit zuschaute, wie sie sich wieder auf ihrem großen blauen Sofa zusammenkrümmte, das ihr ständiges Nest darstellte, sagte er sich zum wiederholten Male, dass er sich bei der erstbesten Gelegenheit eine bessere Freundin an Land ziehen müsse. Mina war mit einer schwarzen Schlabberhose und einem gleichfarbigen Rollkragenpulli bekleidet; dazu trug sie wie immer den schrecklichen, schäbigen, handgestrickten lilafarbenen Schal, und ihre Füße hatte sie in schaflederne Stiefel mit flachen Absätzen gesteckt - ein Outfit, in dem sie wie eine Doppelgängerin der anämischen Tochter eines Leichenbestatters aussah. Warum, fragte er sich, musste sie so schmucklos und herb aussehen? Was war mit ihrem Lebensschwung geschehen? Wenn er die Eigenschaften aufzählte, die er sich bei einer Freundin wünschte, standen Schwung und Elan, Lebensfreude, Leidenschaftlichkeit und Intelligenz ganz oben auf der Liste. Wilhelminas Vorstellung von Begeisterung bestand in einer Extrabeigabe von Sultaninen in den Zimthefeschnecken. Ihr Verstand mochte ja scharf genug sein - falls es jemand schaffte, sie lange genug wachzuhalten, um ihr eine intelligente Konversation zu entlocken.
    Ihr Job bei Giovanni's Rustic Italian Bakery - »Unsere Spezialität: Handwerkerbrote« - brachte es mit sich, dass sie jeden Werktag schon in den frühen Morgenstunden aufstand. Denn sie musste um vier Uhr bei der Arbeit sein, um die Backöfen zu heizen und den ersten Teig des Tages zu mischen. Mittags direkt nach eins beendete sie ihre Arbeit, abends um sechs war sie vollkommen erschöpft, und gegen acht schlief sie in der Regel bereits tief und fest. All das bedeutete: Wenn man mit ihr zusammen war, war sie entweder gerade dabei zu gähnen, ein Gähnen zu unterdrücken, oder sie hatte soeben gegähnt. Wäre Schlafen eine olympische Disziplin, würde Wilhelmina Klug dem britischen Olympia-Team angehören.
    Ihre Augenlider hingen herab - ebenso wie ihre Schultern. Wie viele groß gewachsene Mädchen hatte sie eine nach vorn gebeugte Haltung mit runden Schultern entwickelt, die sich mit der Zeit zu einem Witwenbuckel ausbilden würde. Bei Wilhelmina allerdings, für die eine Ehe sehr weit entfernt zu sein schien, würde es ein Junggesellinnenbuckel sein.
    Alles an ihr zog sich zurück. Selbst ihr Kinn wich zurück.
    Ihr Haar erinnerte an das einer Maus - sowohl von der Farbe als auch von der Beschaffenheit her: Es war sehr dünn, blank gewetzt und ein wenig struppig. Zudem trug sie es auf eine geradezu aggressive Weise kurz. Umso besser könne man es vom Teig fern halten, behauptete sie; doch die Frisur war alles andere als schmeichelhaft. Sie hatte große, dunkle Augen, die vielleicht, für sich genommen, hübsch gewesen wären, wenn es nicht die dazu passenden großen, dunklen Augenringe gegeben hätte.
    Wilhelmina war kein guter Fang. Einer von Kits Kollegen, der an einem der seltenen gemeinsamen Abende mit dem unglücklichen Paar zusammen gewesen war, hatte es anschließend so formuliert: »Mit Blick auf Wärme und Zuneigung, mein Freund, wärst du mit einem Paar Frettchen und einer Wärmflasche besser dran.«
    Kit konnte ihm nicht widersprechen.
    Aber bis etwas Besseres vorbeikommen würde, war sie seine Freundin. Und trotz ihrer vielen offensichtlichen Fehler und trotz seines ständig neu gefassten Entschlusses, sich nach einer besseren Partnerin umzusehen, kreuzte er unerklärlicherweise immer wieder vor ihrer Wohnungstür auf. Es war, als ob seine Füße ein eigenes Bewusstsein hätten und nicht allzu wählerisch dabei wären, unter wessen Tisch sie sich abstellten.
    »Ja, was denn nun?«, fragte sie.
    »'tschuldigung? Hab ich was verpasst?«
    »Schon vergessen, du Blödmann? Du hattest mir versprochen, heute Morgen mit mir einkaufen zu gehen. Du wolltest mir helfen, Vorhänge für das Bad auszusuchen.«
    »Nun, hier bin ich. Lass uns losgehen.«
    »Ist das ein lahmer Versuch von dir, witzig zu sein?«
    »Sonntagmorgen - und das Geschäft, zu dem du gehen willst, ist John Lewis, nicht wahr? Also, lass uns aufbrechen und ein paar Vorhänge aussuchen.«
    »Jetzt verarschst du mich, oder? Du weißt nämlich ganz genau, dass sie sonntags um fünf schließen.«
    »Augenblick!« Er trat näher heran. »Was hast du gesagt?«
    Verbittert blähte sie ihre Wangen auf. »Ich bin zu müde für so etwas.«
    »Nein, ich meine es ernst. Wie viel Uhr ist es?«
    »Es ist halb fünf, verdammt noch mal!« Sie starrte ihn zornig an, eine Frau am Rande des Wutausbruchs, doch
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