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Die Zeitwanderer

Die Zeitwanderer

Titel: Die Zeitwanderer
Autoren: Stephen R. Lawhead
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gewesen und die Gerüche in der Luft typisch für die See. Dies und alles andere hatte er als so real empfunden wie die Welt, die er sonst im Wachzustand erlebte - als so fest und wirklich wie das Pflaster des Londoner Bürgersteigs, über das er gerade ging. Was von dem, das er erlebt hatte, ähnelte einem Traum?
    Aber was sonst könnte es gewesen sein? Kit hatte über Alternativwelten und Ähnliches gelesen. Aber waren das nicht bloß überspitzte Spekulationen von theoretischen Physikern, die zu viel Zeit besaßen und zu viele öffentliche Fördermittel erhielten? Jedenfalls konnten Menschen nicht so einfach, wie es ihnen gefiel, unvermittelt an einem Ort verschwinden, plötzlich an einem anderen auftauchen und jederzeit ebenso rasch wieder zurückkehren. Nein, es musste irgendeine Art von Geistesverwirrung gewesen sein - zugegebenermaßen in einer extremen Form. Vielleicht eine Hysterie. Oder waren es die Folgen einer Hypnose? Möglicherweise hatte der alte Cosimo ihn hypnotisiert und ihn dazu gebracht, sich das Städtchen an der Küste und alles andere auch vorzustellen. Als Kit dies bedachte, drängte sich eine andere, düstere Aussicht in seine Überlegungen: Bin ich vielleicht schizophren?
    Zunächst weigerte sich Kit, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Nichtsdestoweniger war er gezwungen, sich einzugestehen, dass Leute, die unter einer derartigen psychischen Störung litten, oft Menschen sahen, die in Wirklichkeit gar nicht anwesend waren, und sich sogar mit ihnen unterhielten. Zudem hatten diese Geistesgestörten große Schwierigkeiten, ihre Umwelt zu erkennen. Auch war es eine Tatsache, dass die Schizophrenie häufig bei jungen Männern seines Alters erstmals zutage trat - und das ohne jede Vorwarnung. Die Folgen waren genau jene Arten von Dislokation und Orientierungsstörung, die er erfahren hatte.
    Doch welche Erklärung auch zutreffen mochte: Je weniger er über diese sogenannten Reisen erzählte, umso besser. Er würde sich dabei nur den Mund verbrennen. So viel war klar. Er würde, so schwor er sich, eher unter der Folter sterben - mit roten, heißen Schürhaken in den Augen -, als irgendjemandem offenbaren, was er erlebt hatte.
    Als Kit die nächste U-Bahn-Station erreichte, wischte er seine Oyster card über das Lesegerät vor der Eingangsschranke und erhielt abermals die gefürchtete Anzeige WENDEN SIE SICH AN DIE AUFSICHT. Anstatt sein vorheriges Abenteuer zu wiederholen, erstand er pflichtgemäß aus einem der Ticketautomaten eine Fahrkarte. Mit ihr kam er durch die Eingangsschranke und eilte dann die Stufen zum Bahnsteig hinunter. Nachdem der Zug hereingerauscht war, stieg Kit ein und suchte sich einen Platz.
    Die anschließende Fahrt nach Clapton verlief ereignislos. Er stieg aus und ging geradewegs zu Wilhelminas Wohnung. Inzwischen hatte er den festen Entschluss gefasst, das ganze seltsame Zwischenspiel hinter sich zu lassen und es zu vergessen. Niemals in seinem gesamten Leben würde er gegenüber einem anderen Menschen auch nur mit einem einzigen Wort andeuten, was ihm vorhin geschehen war. Während des ganzen Weges zum Hochhaus-Wohnsilo seiner Freundin und zu ihrer Eingangstür hatte er diesen Entschluss im Kopf.
    Er klopfte an.
    Ein Klicken war zu hören, dann schwang die Tür auf. »Gibt es dich auch noch?«
    »Was? Kein Kuss? Kein fröhlicher Gruß?«
    Wilhelmina runzelte die Stirn. Dann gab sie ihm einen sehr flüchtigen, trockenen Kuss auf die Wange. »Trotzdem - warum kommst du so spät?«
    »Ja, tut mir leid. Ich hatte diesen -« Er hielt abrupt inne und dachte kurz nach. »Ich meine, meine Oyster card war leer, und so musste ich zu Fuß gehen.«
    »Und dafür hast du acht Stunden gebraucht?«
    »Hä?«, stieß er verblüfft aus. »Nein, nicht wirklich.«
    Sie gab den Eingang frei. Kit trat ein und streifte seine klammen Schuhe ab. Ihre Wohnung war für Londoner Verhältnisse ziemlich geräumig und so sauber wie das Behandlungszimmer einer Dentalhygienikerin - und beinahe auch genauso kalt. Wilhelmina war absolut sauber und ordentlich: Das verdankte sie möglicherweise der Tatsache, dass sie wirklich einmal Dentalhygienikerin gewesen war. Allerdings hatte sie diesen Beruf nur kurz ausgeübt - sie war dabei einfach mit zu vielen Leuten und zu vielen Mündern in Kontakt gekommen. Daher hatte sie ihren Job aufgegeben, um Bäckerin zu werden.
    Somit füllte sie immer noch die Münder der Leute, allerdings in einer ganz anderen und für sie sehr viel befriedigenderen Weise.
    Als
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