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Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)

Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)

Titel: Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)
Autoren: Mandy Kopp
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und finde das auch noch richtig. Ich habe es nicht anders verdient, ich habe nicht das Recht, glücklich zu sein. Jede Demütigung, jede Zurückweisung ist gerechtfertigt. Husch, husch, zurück ins Schneckenhaus. Wer keine Bedürfnisse äußern kann, hat auch keine. Wer sich benutzen lässt, muss sich nicht wundern, wenn er benutzt wird.
    Ich hätte manchmal gerne einen neuen Satz Bauklötze.
    *
    Thomas und Arndt brauchten eine Pause. Sie gingen auf die Terrasse, um eine Zigarette zu rauchen. Ich blieb in der Küche sitzen, hatte Mühe, das beklemmende Gefühl auf der Brust loszuwerden. Der Kaffee in meiner Tasse war längst kalt, er schmeckte schal. Ich schüttete den Rest in den Ausguss und packte die Tasse in die Spülmaschine. Die Nudeln waren ganz gut … den Rest der Soße vielleicht einfrieren. Dass man aber auch nie den Deckel zu den Tupperdosen findet. Ein einziges Chaos in diesem Schrank. Wütend knallte ich die Tür zu. Was nun? Am besten auch raus an die frische Luft.
    Ich öffnete die Tür und trat auf die Terrasse.
    Soll ich? Besser nicht.
    Vor zwei Jahren hatte ich aufgehört, nicht ganz freiwillig, sondern wegen dem kleinen Schlumpf. Kaum abgestillt, hatte ich zwar wieder angefangen, aber nur bis zur Krebsdiagnose. »Sie müssen Ihren Körper jetzt schonen!«
    Scheiß drauf.
    »Wer spendiert mir denn mal eine Kippe?«
    Einer der beiden hielt mir die Schachtel hin, dann streckte er seine Hand nach vorne. Das Feuerzeug klickte. Der Rauch schoss mir in die Lunge, mir wurde schwindelig. Wie damals auf dem Klo in der Schule. Als Sabine zu mir gesagt hatte: »Na, willste mal probieren?« Karo , ohne Filter, weiß ich noch wie heute. Mit durchschlagender Wirkung …
    Meine ganzen Vorsätze waren dahin, aber es tat gut. Wir rauchten, ich fühlte mich sicher bei den beiden und bot ihnen das Du an.
    Zurück in der Küche, packte Arndt seinen Laptop aus.
    »Meinst du, wir können uns ein paar Bilder ansehen?«
    Ich nickte. »Aber nur, wenn ihr mir die Namen dazu sagt.«
    Auf dem Bildschirm poppten nacheinander Fotos auf. Einige kannte ich bereits aus dem Ordner, den mir die beiden Polizisten im Jahr 2000 vorgelegt hatten. Sofern ich jemanden wiedererkannte, schilderte ich, welche Ereignisse ich mit diesen Männern verband und wann sie in etwa stattgefunden hatten. Es war schwierig, kostete mich unendliche Energie. Zeit und Raum waren außer Kraft gesetzt, aber die Bilder waren da, ich musste sie nur zu fassen kriegen.
    Der Moment, in dem ich Heinz auf dem Bildschirm sah, hat sich eingebrannt. Ich war aufgewühlt, durcheinander.
    »Den kenn ich. Ich habe euch doch erzählt, dass ich einem Freier danach überraschend wiederbegegnet bin. Der ist das. Das ist Heinz.«
    Ich sprang auf, konnte nicht länger stillsitzen.
    Tief Luft holen, beruhig dich, es ist längst vorbei. Bist ’ne süße Maus. Ab heute bin ich dein Heinz.
    Küssen is’ nicht.
    Ich bin vierzehn.
    Ich hätte am liebsten laut geschrien. Aber ich sagte nur leise: »Den hab ich später noch einmal gesehen.«
    Dann brach ich weinend zusammen.
    Am Abend sprach ich mit Wolfgang noch einmal über den Tag. Er saß mir gegenüber, schweigend, die Arme vor der Brust verschränkt. Es war das erste Mal, dass er erfahren hatte, was mir widerfahren war. All die Jahre hatten wir dieses Thema weiträumig umschifft. Mal er, mal ich. Es dauerte, bis er mir sagen konnte, dass es ihn sehr getroffen habe, dass ich offenbar weniger Vertrauen in ihn als in fremde Journalisten habe. Heute weiß ich, dass ich damals zu einem solchen Vertrauen gar nicht fähig gewesen wäre. Zeit, ja, er hatte mir Zeit gelassen, Zeit heilt alle Wunden. Zeit schafft Vertrauen. Für uns beide war die Zeit offenbar nicht lang genug. Letztlich hatten wir keine Chance.
    *
    Auf den Fotos hatte ich weitere Männer aus dem Jasmin erkannt. Einige von ihnen hatte ich bereits bei der Vernehmung im Jahr 2000 identifiziert. Ohne Folgen. Würde mein Gespräch mit den Journalisten daran etwas ändern? Ich hatte Zweifel.
    Das Einzige, was sich änderte, war mein Befinden. Alles, was ich so sorgsam ganz unten in meine Schubladen gepackt hatte, war wieder da. Der Fächer über dem Bett, das Bild des weinenden Mädchens an der Wand, die Tütensuppen. Ich war zurück im Jasmin. Egal, ob ich die Buchführung durchging, ein Pausenbrot für Raphael schmierte oder mit Wolfgang vor dem Fernseher saß. Alles auf Anfang.
    Als ich es gar nicht mehr aushielt, vereinbarte ich einen Termin mit meinem Psychologen. Ich
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