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Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)

Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)

Titel: Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)
Autoren: Mandy Kopp
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Geldstrafe in Höhe von je 2500 Euro verurteilt – wegen einer einzigen Frage, die sie zwei Polizisten bei ihren Recherchen gestellt hatten. Ein Urteil, das kritischem Journalismus die Grundlage entzieht, Meinungs- und Pressefreiheit außer Kraft setzt. Thomas und Arndt legten Berufung ein – genau wie die Staatsanwaltschaft, denen das Urteil zu milde war.
    Vaters Worte geben mir Kraft, wenn ich davon erfahre, dass die Sondereinheit des Verfassungsschutzes zur organisierten Kriminalität in Sachsen aufgelöst wurde. Wenn der sächsische Landtag zwar einen Untersuchungsausschuss einberufen hat, die Regierung aber die Herausgabe wichtiger Akten blockiert. Wenn Richter, die in laufenden Verfahren eingesetzt werden, in ihrer »Freizeit« Artikel verfassen, die jede Objektivität vermissen lassen. Artikel, in denen die Rede davon ist, dass »selbsternannte Aufklärer« sich des Falls angenommen hätten, Menschen auf »infame Weise bloßgestellt« und als »Kinderschänder« gebrandmarkt hätten. Ja, darf man »angesichts solcher Vorwürfe nicht auch emotional reagieren? Ich meine schon.«
    Das ist der letzte Satz jenes Artikels.
    Dumm nur, dass die Emotionen der Opfer in diesem Fall kaum berücksichtigt wurden. Die Ermittlungen gegen einige Beschuldigte wurden übrigens nach den Befragungen von Trixi und mir im Jahr 2008 eingestellt. Für die damals unter Verdacht stehenden Herren hatte das keine rechtlichen Konsequenzen. Für uns als Zeugen schon, ebenso für Arndt Ginzel und Thomas Datt. Verkehrte Welt.
    Wir fanden uns auf der Anklagebank wieder. Der Vorwurf: Verleumdung und Rufschädigung. Mein Anwalt machte mich darauf aufmerksam, dass mir jedes Mal von neuem eine Strafe wegen Verleumdung drohen würde, wenn ich an meiner Aussage festhielt. Eine ganz perfide Art, jemanden zum Schweigen zu bringen.
    Ist es genau diese Angstmache, die so viele Opfer zum Schweigen verurteilt? Weil sie fürchten müssen, im Zweifelsfall mit einem Bein im Knast zu stehen? Sie werden zermürbt, immer wieder vorgeführt, müssen sich anhören, dass das, woran sie sich erinnern, nicht richtig sein kann, weil bla, bla. Wem wird man glauben, Frau Kopp?
    Nein, ich will das nicht hinnehmen. Ich will nicht hinnehmen, dass die eigentlichen Opfer es nicht wagen, ihre Stimme zu erheben. Ich informierte meinen Anwalt darüber, dass ich an meinen Aussagen festhalten würde – egal, ob vor dem Untersuchungsausschuss, bei einer Befragung oder vor Gericht. Ich will die Kraft aufbringen, meine Stimme erheben, für die Wahrheit kämpfen. Und für meine Würde. Ich will nicht mein Leben lang Opfer sein, auch wenn ich das in gewisser Weise bleiben werde. Weil mir die Erinnerungen und Bilder niemand nehmen kann. Aber ich will Gerechtigkeit.
    Das Kainsmal tragen wir, die Mädchen aus dem Jasmin. Und dieses Mal hat sich tief eingebrannt. Seit zwanzig Jahren. Und es wird auch nicht so einfach weggehen, wir werden es auch in Zukunft behalten. Während die Herren Freier im Zweifelsfall als anerkannte Mitglieder der Gesellschaft die Nase über diese »Prostituierten« rümpfen.
    *
    Ermutigt von Thomas und Arndt begann ich, mich dem zu stellen, was mich all die Jahre über innerlich zerfressen hat. Ich las alles über das Thema Sachsensumpf und Jasmin, was ich in die Finger bekommen konnte. Tausende Seiten von Akten, Protokollen, Zeugenaussagen und Zeitungsberichten. 2009 reichte mein Anwalt eine Beschwerde beim Oberlandesgericht Dresden ein und forderte eine Wiederaufnahme des Verfahrens unter anderem gegen Kugler. Er wies auf die vielen Widersprüche hin, auf Spuren, die nicht verfolgt worden waren, und kritisierte die Behandlung der Opfer. Die Wiederaufnahme wurde abgelehnt.
    Ich wollte nicht länger hinnehmen, dass wir in der öffentlichen Wahrnehmung von Opfern zu Prostituierten gemacht wurden und von Prostituierten zu Täterinnen. Die Medien hatten sich über Jahre hinweg wie Wölfe auf uns gestürzt, wir waren wie hilflose Hasen hocken geblieben, hatten noch nicht einmal gemerkt, wer den Käfig geöffnet hatte. Ich entschied mich, zwei längere Interviews zu geben, in denen ich meine Sicht auf die Dinge schilderte. Und 2011 wagte ich es zum ersten Mal, mich mit den Orten zu konfrontieren, die mein Leben so nachhaltig verändert hatten. Gemeinsam mit meinem Lebensgefährten Pierre fuhr ich nach Leipzig, wir gingen die Lütznerstraße entlang, standen vor dem Haus in der Merseburger Straße. Es war ein schwerer Gang, aber auch einer, der mich noch einmal mehr
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