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Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)

Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)

Titel: Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)
Autoren: Mandy Kopp
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Gutachten oder der Hinzuziehung von Experten gar nicht zu reden. Ein paar traumatisierte Nutten, wen juckt das schon. Wem wird man glauben, Frau Kopp?
    Ja, wem wird man glauben? Als ich sagte, dass ich jederzeit bereit sei, ein Gutachten über meine Glaubwürdigkeit erstellen zu lassen, gab der Oberstaatsanwalt nur ruppig zur Antwort, dass allein das Gericht über eine solche Notwendigkeit entscheiden würde.
    Beim Thema Identifizierung von Freiern erreichte die Befragung einen unschönen Höhepunkt. Ich beharrte auf meiner Aussage aus dem Jahr 2000, sagte mehrmals, dass ich mir hundertprozentig sicher sei, definitiv.
    Irgendwann rastete er aus, rannte schnaubend umher und brüllte mich an: »Hören Sie endlich auf mit Ihren hundert Prozent und definitiv!«
    Ich schrie zurück: »Wenn Sie wollen, dass ich lüge, dann sagen Sie hier ins Mikrofon, dass ich lügen soll, und dann tue ich es – für Sie!«
    Er wurde ganz still und setzte sich erschöpft vor seinen Computer.
    Mein Anwalt versuchte, die Situation zu entschärfen. Vielleicht würde man ja Klarheit erlangen, wenn man von den vermeintlichen Freiern alte und neue Fotos vergleichen würde. Am Ende einigten wir uns darauf, dass meinem Anwalt per Mail die entsprechenden Unterlagen zugesandt werden sollten. Was nie geschah.
    In den nächsten Tagen erhielt Jens einige Anrufe, bei denen man ihm durch die Blume zu verstehen gab, dass man mich wegen vermeintlicher Ungereimtheiten in meinen Aussagen auch als unzurechnungsfähig erklären könnte. Jens, mit dem ich seit Jahren befreundet war, ging die ganze Sache so nah, dass er das Mandat niederlegen wollte. Ich war einverstanden und beauftragte jenen Anwalt, der bereits 2000 vergeblich versucht hatte, nach meiner Vernehmung am See Akteneinsicht zu erhalten. Ich war froh, dass er sich dafür entschied, mir juristisch beizustehen. Er hatte weder an meiner Glaubwürdigkeit noch an der Richtigkeit meiner Aussagen den geringsten Zweifel.
    Abgesehen von ihm konnte ich mit Thomas und Arndt am besten über meine Gefühle und über die vielen Widersprüche beim Thema Sachsensumpf reden. Wir telefonierten regelmäßig, sie kannten die Akten und waren die Einzigen, die mir zumindest einige der vielen tausend Fragen, die ich hatte, beantworten konnten. Sie ermutigten mich, häppchenweise und sehr vorsichtig, Stück für Stück zurückzugehen. Jedes noch so kleine Puzzlestück meiner Erinnerung aufzubewahren, damit ich es eines Tages zu einem Ganzen zusammensetzen könnte.
    Bei einem unserer Telefonate erzählte ich ihnen von einer Wohnung. Jener Wohnung, in der das russische Roulette stattgefunden hatte. Sie wollten alles wissen. Wie lang in etwa der Weg vom Jasmin gewesen war, wie der Hausflur ausgesehen hatte, wie die Tür, die Wohnung an sich. Ich weiß nicht, wie die beiden es angestellt haben, aber nach ein paar Monaten riefen sie mich an, um mir mitzuteilen, dass sie einen Treffer gelandet hatten. Die Wohnung hatte eine ältere Prostituierte angemietet, die Kugler »angelernt« hatte, zwischenzeitlich war dort ein Puff für gutsituierte Kunden untergebracht gewesen.
    Den nächsten Treffer landeten sie, nachdem ich ihnen von der Schweinemastanlage erzählte hatte. Von jener schwarzhaarigen, älteren Frau, die ich noch heute in meinen Alpträumen am Haken hängen sehe.
    »Christl hieß sie, soweit ich mich erinnere, vielleicht aus dem Revier in der Rocherstraße, aber das weiß ich nicht sicher.« Dieses »Revier« gehörte eigentlich einem anderen Zuhälter.
    Die beiden baten mich, die Frau so genau wie möglich zu beschreiben. Für mich war das, als hätten sie mich gebeten, direkt in die Hölle zu fahren. Das Hallen der Schritte, die Rinne am Boden, der Strick mit dem geschundenen Körper am Haken. Das Knallen der Tür hinter mir, meine Panik, als ich mit meiner Hand nackte Haut, Fleisch, ertastete. Tot, tot, sie ist tot. Christl, flieg.
    »Mandy? Halloooo? Bist du noch dran?«
    Es dauerte, bis ich wieder in der Gegenwart angekommen war.
    Die beiden Journalisten versprachen mir, mich anzurufen, sobald sie etwas herausgefunden hätten.
    Diesmal ging es sehr viel schneller. Noch am gleichen Tag riefen sie zurück und erzählten mir von einem Gespräch mit einer ehemaligen Polizeireporterin, die sich in der Szene auskannte und sicher war, dass es sich nach meiner Beschreibung nur um Christel Meinert handeln konnte. Leider war sie zu keinem Gespräch bereit.
    Das Schweigen ist das Schlimmste, auch wenn ich es verstehen kann.
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