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Die Zeit: auf Gegenkurs

Die Zeit: auf Gegenkurs

Titel: Die Zeit: auf Gegenkurs
Autoren: Philip K. Dick
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Uditen zu glauben scheinen, wären sie dann Ihrer Meinung nach berechtigt, sich mit Gewalt Zutritt zu verschaffen? Was sie offenbar beabsichtigen? Oder betrachten Sie das…«
    »Wir sehen in dieser Menge«, unterbrach Harrington, »eine unerlaubte Demonstration, und wir haben bereits eine Anzahl von Verhaftungen vorgenommen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt versuchen wir, sie aufzulösen.«
    Erneut tauchte der Reporter an seinem Tisch auf, korrekt gekleidet und sorgfältig frisiert. »Die Demonstration«, erklärte er, »löste sich nicht auf, wie Polizeichef Harrington gehofft hatte. Nach neueren Meldungen aus dem Krisengebiet ist die von Harrington erwähnte Atomkanone tatsächlich in Stellung gebracht worden und richtet gegenwärtig am Bibliotheksgebäude beträchtliche Zerstörung an. Wir werden im Lauf des Abends unser reguläres Programm unterbrechen, um Sie über die weitere Entwicklung dieser buchstäblichen Entscheidungsschlacht zwischen den Anhängern des Udi-Kults, vertreten durch diese lärmende, erregte und bis zum Äußersten gereizte Menge, und der …«
    Sebastian schaltete den Fernseher ab.
    »Es ist eine gute Sache«, sagte Lotta nachdenklich, »daß die Bibliothek verschwindet. Ich werde froh sein, wenn es sie nicht mehr gibt.«
    »Sie wird nicht verschwinden. Man wird sie wieder aufbauen. Das ganze Personal und alle Löschungsräte sind entkommen; du hast doch gehört, was der Sprecher gesagt hat. Mach dir keine Hoffnungen.« Er erhob sich von der Couch, auf der er gesessen hatte, und ging auf und ab.
    »Für eine kleine Weile sind wir wahrscheinlich sicher«, bemerkte Lotta. »Die Jünger sind damit beschäftigt, in die Bibliothek einzudringen; wahrscheinlich haben sie uns ganz vergessen.«
    »Aber sie werden sich wieder an uns erinnern« sagte er. »Wenn sie mit der Bibliothek fertig sind.« Er fragte sich, ob es ihnen wie durch ein Wunder gelingen würde, den Anarchen zu erreichen, bevor die Bibliothekare ihn töten konnten. Mein Gott, dachte er; ich frage mich … zumindest ist es theoretisch möglich. Aber tief im Herzen wußte er, daß es nicht dazu kommen würde. Sie würden den Anarchen nicht mehr lebend wiedersehen; er wußte es, der Anarch hatte es gewußt und die Uditen wußten es, vor allem Ray Roberts und die Uditen.
    »Schalte die Nachrichten wieder ein«, bat Lotta unruhig.
    Er gehorchte.
    Und sah auf dem Bildschirm das Gesicht von Mavis McGuire.
    »Mrs. McGuire«, sagte der Fernsehreporter, »dieser Angriff auf Ihre Bibliothek – haben Sie der Menge erklärt, daß sie nicht ihren ehemaligen religiösen Führer gefangenhalten? Oder glauben Sie nicht, daß eine solche offene Erklärung die erhoffte Wirkung haben und sie beruhigen könnte?«
    Mrs. McGuire sagte mit ihrer harten, eisigen Stimme: »Wir haben heute die Vertreter der Medien zu uns gebeten und eine vorbereitete Erklärung verlesen. Wenn Sie wünschen, werde ich sie noch einmal wiederholen ; könnte jemand – danke.« Sie nahm ein Blatt Papier entgegen, überflog es und las dann den Text mit ihrer trockenen, ausdruckslosen Bibliothekarinnenstimme vor. »Durch die Anwesenheit von Mr. Ray Roberts in Los Angeles zu diesem Zeitpunkt ist es zu bewußt geschürten, gewalttätigen, religiös motivierten Unruhen gekommen. Daß die Stadtbibliothek das Hauptziel der Gewalttaten ist, überrascht uns nicht, da die Bibliothek für die Erhaltung der physischen und geistigen Institution der modernen Gesellschaft eintritt – Institutionen, deren Zerstörung sich die sogenannten Uditen zum Ziel gesetzt haben. Was den polizeilichen Schutz angeht, so ist uns jede Unterstützung willkommen, die uns Polizeichef Harrington geben kann, aber Vorfälle dieser Art datieren bis zu den Watts-Unruhen in den sechziger Jahren zurück, und ihre ständige Wiederkehr …«
    »Oh, Gott«, sagte Lotta, hielt sich die Ohren zu und sah ihn furchterfüllt an. »Diese Stimme; diese schreckliche Stimme, mit der sie auf mich eingeredet hat …« Sie schauderte.
    »Wir haben außerdem mit Miss Ann Fisher gesprochen«, fuhr der Fernsehreporter fort, »der Tochter der Chefbibliothekarin Mavis McGuire. Und sie gab folgende Erklärung ab.« Der Bildschirm zeigte jetzt Ann im Wohnzimmer ihres Apartments; sie sah selbstsicher, hübsch und ruhig aus, unberührt von den Geschehnissen.
    »… scheint von langer Hand vorbereitet zu sein«, sagte Ann. »Ich glaube, die Zerstörung der Bibliothek wurde schon vor Monaten beschlossen, und das erklärt Ray Roberts’ Erscheinen an
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