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Die Zeit: auf Gegenkurs

Die Zeit: auf Gegenkurs

Titel: Die Zeit: auf Gegenkurs
Autoren: Philip K. Dick
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der Westküste.«
    »Sie glauben demnach«, meinte der Fernsehreporter, »daß der Angriff auf die Bibliothek …«
    »… in diesem Jahr das Hauptziel der Uditen war und ist«, fuhr Ann fort. »Wir stehen auf ihrer Schwarzen Liste; so einfach ist das.«
    »Also ergab sich der Angriff nicht spontan.«
    »Oh, nein. Mit Sicherheit nicht; alles deutet darauf hin, daß er sorgfältig und lange im voraus geplant wurde. Der Beweis dafür ist der Einsatz ihrer Kanone.«
    »Hat die Bibliothek versucht, sich direkt mit Seiner Heiligkeit Ray Roberts in Verbindung zu setzen? Um ihm zu versichern, daß sich der Anarch keinesfalls in ihrer Hand befindet?«
    »Ray Roberts«, antwortete Ann ruhig, »ist zur Zeit für niemanden zu sprechen.«
    »Ihre Bemühungen waren also …«
    »Wir hatten keinen Erfolg. Und wir werden auch keinen haben.«
    »Sie glauben demnach, daß es den Uditen gelingen wird, die Bibliothek zu zerstören?«
    Ann zuckte die Schultern. »Die Polizei unternimmt keinen Versuch, sie daran zu hindern. Und wir sind nicht bewaffnet.«
    »Warum, glauben Sie, unternimmt die Polizei keinen Versuch, die Uditen aufzuhalten?«
    »Die Polizei hat Angst. Die Polizei hat seit 1965 Angst, seit dem Ausbruch der Unruhen in Watts. Seit Jahrzehnten wird Los Angeles – wie der Großteil der W.U.S. – vom Pöbel beherrscht. Ich bin überrascht, daß es nicht schon früher zu einem Angriff auf uns gekommen ist.«
    »Aber Sie werden die Bibliothek wieder aufbauen? Hinterher?«
    »Wir werden«, erklärte Ann Fisher, »auf dem Gelände der alten Bibliothek ein größeres und moderneres Gebäude errichten. Die Pläne liegen schon bereit; ein äußerst tüchtiges Architektenteam ist für uns tätig. Die Arbeiten werden nächste Woche beginnen.«
    »Nächste Woche?« fragte der Reporter. »Es klingt, als hätte die Bibliothek mit diesen Vorfällen gerechnet.«
    »Wie ich schon sagte, bin ich überrascht, daß es nicht schon früher zu einem Angriff auf uns gekommen ist.«
    »Miss Fisher, haben Sie persönlich Angst vor den Udi-Zeloten, den sogenannten Jüngern der Macht?«
    »Nicht im geringsten. Nun, vielleicht ein wenig.« Sie lächelte und entblößte schöne, ebenmäßige Zähne.
    »Vielen Dank, Miss Fisher.« Erneut war der Reporter wieder an seinem Schreibtisch zu sehen und blickte mit sorgenvollem Gesicht in die Kamera. »Gewalttätige Unruhen in Los Angeles: ein Fluch, der, wie Miss Fisher gesagt hat, seit dem Aufstand von Watts im Jahr 1965 auf der Stadt lastet. Ein schutzloses Gebäude, ein Wahrzeichen, wird in diesem Moment dem Erd boden gleichgemacht … und das Rätsel um den Verbleib des Anarchen Peak – vorausgesetzt, es stimmt, daß er wiederauferstanden ist – bleibt nach wie vor ungelöst.« Der Reporter blätterte in seinen Unterlagen und sah dann erneut in die Kamera. »Befindet sich der Anarch in der Stadtbibliothek?« fragte er rhetorisch. »Und falls er …«
    »Ich kann es nicht mehr hören«, sagte Lotta; sie stand auf und schaltete den Fernseher ab.
    »Man hätte dich interviewen sollen«, meinte Sebastian. »Du hättest den Fernsehzuschauern einiges über die Methoden der schutzlosen Bibliothek erzählen können.«
    »Ich würde mich nie vor eine Fernsehkamera trauen«, sagte Lotta erschrocken. »Ich bekäme kein Wort heraus.«
    »Es war nur ein Scherz«, sagte er beruhigend.
    »Warum rufst du nicht die Zeitungen und die Fernsehsender an?« fragte Lotta. »Du hast den Anarchen in der Bibliothek gesehen; du könntest das Vorgehen der Uditen rechtfertigen.«
    Eine Weile dachte er über den Vorschlag nach. »Vielleicht mache ich das«, sagte er. »Morgen oder übermorgen. Das Thema wird noch eine Zeitlang die Nachrichten beherrschen.« Ich werde es tun, dachte er, wenn ich dann noch am Leben bin. »Ich könnte ihnen einiges über die Jünger der Macht erzählen, wenn ich schon dabei bin«, fügte er hinzu. »Ich fürchte, das würde sich dann gegenseitig aufheben.« Es würde beide Parteien ins Unrecht setzen, erkannte er. Also sollte ich besser die Finger davon lassen.
    »Laß uns fortgehen«, bat Lotta ernst. »Laß uns nicht länger hier in der Wohnung bleiben. Ich … kann es nicht mehr ertra gen, nur herumzusitzen und zu warten.«
    »Willst du in ein Hotel?« fragte er schroff. »Das ist schon Joe Tinbane nicht bekommen.«
    »Vielleicht sind die Jünger der Macht nicht so schlau wie die Agenten der Bibliothek.«
    »Sie sind beide gleich tüchtig«, erwiderte er.
    »Liebst du mich?« fragte Lotta scheu.
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