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Die Wunderheilerin

Die Wunderheilerin

Titel: Die Wunderheilerin
Autoren: Ines Thorn
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einfach, wie es klang.
    Die Silberschmiedin sprach weiter: «Um Regina, deine Zwillingsschwester, sorge ich mich nicht. Sie wird leicht einen Mann finden. Ihr brannte der Rock schon vor der Zeit.»
    Priska war sich da nicht so sicher. Die Meisterin hatte keine Ahnung vom Leben der niederen Stände. «Wen sollen wir heiraten? Ihr habt uns ausgebildet. Wir haben lesen, schreiben, rechnen, gute Manieren und sogar Latein gelernt. Doch unsere Abstammung bleibt unehrlich. Kein Handwerker wird uns wollen. In die Vorstadt können wir auch nicht mehr zurück. Niemand dort kann lesen oder schreiben. Wie Aussätzige würden sie uns behandeln.»
    Eva antwortete nicht. Ihr Blick verweilte bei den Figuren, die sie an das Weihwasserbecken gebracht hatte. Adam und Eva im Paradies.
    Priska merkte, dass die Meisterin mit ihren Gedanken ganz weit weg war. Das Schicksal ihrer Mündel kümmerte sie jetzt nicht.
    Sie trat an das Weihwasserbecken und fuhr mit dem Finger über die Ornamente. «Soll ich Kugeln gießen?», fragte sie und deutete mit der Hand auf den Brennofen und den Barren reinen Silbers, der daneben lag.
    Eva nickte. «Ja, gieße mir Kugeln und zieh mir drei dünne Drähte. Auch Krallen brauche ich, um die Steine zu fassen.»
    Priska legte den Umhang ab. Sie band sich eine raue Lederschürze vor ihr Kleid und machte sich an die Arbeit.
    Eine Stunde arbeiteten sie schweigend Seite an Seite. Die Straßen leerten sich allmählich, der Lärm erstarb.
    Schließlich konnte Priska ihre Gedanken nicht länger für sich behalten. «Könnt Ihr die Werkstatt nicht weiterführen?», fragte sie in die Stille, in der nur die Buchenscheite im Brennofen leise knisterten.
    «Wie?» Eva fuhr hoch. «Die Werkstatt? Es ist gegen die Zunftregeln, dass eine Frau einer Silberschmiede vorsteht.»
    «Ihr könntet Euch zusammentun mit einer anderen Werkstatt.»
    «Nein, Priska, das geht nicht.»
    Priska blickte zu Boden. Die Meisterin bemerkte ihre Enttäuschung. «Du verstehst das nicht, Priska. Ich bin eine Meistersfrau, habe ein paar Jahre einer Werkstatt und einem Haushalt vorgestanden. Unter einem fremden Meister kann und darf ich nicht arbeiten. Außerdem gäbe es keinen, der mich nähme.»
    «Aber Meister David   …»
    Eva nickte. «Der Meister war mein Mann. Das war etwas anderes. Jetzt bin ich ohne Mann, aber keine Witwe. Ich habe keine einflussreichen Freunde mehr und bin noch immer eine Fremde, obwohl ich schon seit Jahren in Leipzig lebe. Meine Mutter würde sich im Grab umdrehen, wenn sie mich jetzt sehen könnte. Ich bin gescheitert, Priska.»
    Sie sah auf, ihr Gesicht wirkte alt und müde.
    «Kein Meister in Leipzig würde mit mir zusammengehen wollen und dürfen. Außerdem bin ich schwanger.»
    Priska nickte. Sie hatte schon vor einer Weile bemerkt, dass der Leib der Meisterin sich langsam rundete. «Wann kommt das Kind?», fragte sie.
    «Im Mai, sagt die Hebamme.»
    So bald schon. Priska wurde schwer ums Herz. Ihr und ihrer Zwillingsschwester Regina würde nicht viel Zeit bleiben.Doch sie wollte sich nichts anmerken lassen und konzentrierte sich auf ihre Arbeit. Schließlich gab sie die gegossenen Kugeln und Drähte in einen Zuber mit kaltem Wasser, damit sie auskühlen konnten, und löschte das Feuer im Brennofen. Danach legte sie die Lederschürze ab und bürstete vorsichtig den Silberstaub heraus. Plötzlich bemerkte sie, wie müde sie war.
    Sie rieb sich mit den Fäusten die Augen, blinzelte, sah zur Lehrmeisterin.
    Auch Eva schien erschöpft zu sein. Ihr Gesicht war noch grauer, unter ihren Augen lagen tiefe Schatten. Ihre Lippen zitterten leicht. Sie sah so elend aus, als könne sie jeden Augenblick das Bewusstsein verlieren. Wieder überkam Priska tiefes Mitleid mit der Frau, die vor wenigen Stunden um ein Haar von ihrem Ehemann erschlagen worden wäre. Die Lehrmeisterin wirkte so einsam. So gottverloren. Selbst das Blut schien ihre Lippen verlassen zu haben.
    Priska trat zu ihr und streichelte mit dem Zeigefinger sanft Evas bebenden Mund. Sie wusste nicht, warum. Noch nie hatte sie einen anderen Menschen berührt, nicht auf diese Weise.
    Die Silberschmiedin hielt still, doch in ihren Augen begann etwas zu glimmen. Unvermittelt zog sie Priska an sich, mit einer Heftigkeit, die diese überraschte. Eva presste ihren Leib fest gegen Priskas, umklammerte sie mit den Armen, als würde ihr Leben davon abhängen.
    Priska roch den Duft der Meisterin; ein wenig Schweiß und den bittersüßen Geruch der Angst, der noch immer in ihren
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