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Die Würde der Toten (German Edition)

Die Würde der Toten (German Edition)

Titel: Die Würde der Toten (German Edition)
Autoren: Brigitte Pons
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Leben gebracht.

Tag 18 – Donnerstag
    Schlaflos verbrachte Henry die Nacht. Mephisto durchstreifte sein Revier, und sie kauerte auf der Couch, unfähig das Bett zu benutzen, in dem sie mit Adrian gelegen hatte. Sie hasste es, an das verlogene Telefonat mit ihm zu denken, und konnte doch nicht anders. Geheuchelte Vernunft und Selbstbeherrschung. Logikgesteuerter Abschied. Jetzt war alles zu Ende.
    Als Mephisto durch die offen stehende Balkontür schlüpfte und sein kaltes Fell an ihren Beinen rieb, dämmerte es bereits. Henry stand auf, um ihn zu füttern, schüttelte die verkrampften Glieder. Sie fühlte sich in ihrer Wohnung fast ebenso fremd wie in der Zelle im Präsidium. War das noch ihr Zuhause? Alles hatte sich verändert. Sie musste ihr Leben neu beginnen, einen neuen Sinn finden. Lange starrte sie den schwarzen Brandfleck auf dem Boden an. Wie oft hatte sie gepredigt, dass die Vergangenheit abgeschlossen werden musste, um die Zukunft zu starten? Aber verbrannte Erde zu hinterlassen, war nie ihre Absicht gewesen.
    Auf Händen und Knien rutschte sie durch die Küche, wischte, bis nichts mehr an das Feuer erinnerte. Das Putzmittel brannte auf der Haut, in der Nase und in den Augen. Auf der Schwelle hielt sie an und setzte sich in die Türöffnung des Schlafzimmers. Sie sah für sich keine Zukunft, in die sie durchstarten konnte. Niemand würde sie nach dieser Sache mehr als Thanatopraktikerin einstellen. Und Eberhard und Anneliese waren nicht nur geschäftlich ruiniert, sondern auch menschlich an Jürgens Tod zerbrochen.
    Die zerknüllte Decke auf ihrem Bett hing schief bis fast auf den Boden herunter. Neben dem unteren Zipfel lugte eine aufgerissene Kondomverpackung hervor. Henry warf mit dem nassen Putzlappen danach und stöhnte auf. Nicht alles ließ sich so leicht entfernen wie der Brandfleck. Sie brauchte einen Schrubber für ihre Seele, wenn sie diesen Teil der Vergangenheit loswerden wollte.

* * *

    Zwischen den Bäumen am Main hing feuchtkalter Frühnebel. Noch lag die Stadt im Halbschlaf, und niemand hielt sich länger als unbedingt notwendig im Freien auf. Nasses Laub klebte unter Adrians Schuhsohlen, und von den fast kahlen Ästen tropfte es ihm von Zeit zu Zeit in den Kragen und hinter die Brille. Es wäre bequemer gewesen, sich zu Hause zu treffen oder in einem Café oder in Elisabeths Wohnung, um deren Auflösung er sich doch langsam kümmern sollte. Aber jedes Mal, wenn er eine Tür hinter sich schloss, fühlte Adrian sich eingeengt, bedrückt, als ob ihm die Luft zum Atmen genommen würde, und er riss alle Fenster auf. Also konnte er auch gleich draußen umherlaufen. Das kam seiner momentanen Rastlosigkeit sehr entgegen.
    Am Bootsanleger neben dem Eisernen Steg wartete Viktor. Schweigend gingen sie nebeneinander am Ufer entlang. Viktor hatte sich offenbar inzwischen daran gewöhnt, dass er das Gespräch eröffnen musste. Es dauerte immer eine Weile, bis Adrian in Schwung kam, wenn er etwas zu sagen hatte.
    »Ist Henry noch in Gewahrsam?«
    »Nein, sie wurde gestern entlassen. Nach der letzten Vernehmung haben die Ermittler keinen Haftgrund gesehen. Die Staatsanwaltschaft ist der Bewertung gefolgt und hat bei Gericht keinen Untersuchungshaftbefehl beantragt.« Die Antwort klang sachlich.
    »Wie geht es ihr?«
    Adrian schnaubte. »Keine Ahnung. Sie will mich nicht sehen, nicht mit mir reden. Wenn ich ehrlich bin, kann ich das sogar ganz gut verstehen.«
    »Sie wird sich beruhigen. Du bist Polizist, sie konnte nicht erwarten, dass du deinen Verdacht ignorierst.«
    »Aber genau das habe ich doch zuerst getan!« Unvermittelt blieb er stehen und warf verzweifelt die Arme in die Luft. »Das ist es ja, was mich so wütend macht! Ich hätte Jürgen Moosbachers Tod verhindern können, wenn ich früher ernsthaft ermittelt oder auf dich gehört und die Kollegen gleich informiert hätte.«
    »Das stimmt zwar, aber trotzdem gehst du jetzt zu hart mit dir selbst ins Gericht. Du wusstest doch gar nicht, dass Moosbacher in Gefahr war.«
    »Weil ich Henry nicht ernst genommen habe, und bei den Nachforschungen über Bilanow habe ich nur an der Oberfläche gekratzt. Dann, beim zweiten Mal … Sie hatte Angst, aber ich habe es nicht gemerkt! Du hattest vollkommen Recht, ich war beleidigt – und darum völlig blind. Im Nachhinein betrachtet stank das ganze von Anfang an nach organisierter Kriminalität.«
    Viktor fasste Adrian am Ellbogen und dirigierte ihn zum Verkaufsfenster eines kleinen Imbiss-Pavillons. Es
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