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Die Würde der Toten (German Edition)

Die Würde der Toten (German Edition)

Titel: Die Würde der Toten (German Edition)
Autoren: Brigitte Pons
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hatte, war ihm das Gespräch sicher in Erinnerung geblieben. Er ging den Dingen gern auf den Grund und hier hatte Böhmer nur eins und eins zusammenzählen müssen. Kein Wunder, dass er sich um eine zweite Leiche mit den gleichen Prügelspuren persönlich kümmern wollte.
    »Kannst du Böhmer sagen, dass er Henry informieren soll, wenn er fertig ist? Ich vermute, die Eltern werden überfordert sein. Das eigene Kind, das ist doch etwas ganz anderes, als fremde Menschen zu versorgen. Und Henry … ich denke, sie wird es machen wollen.«
    »Wollen?« In Uwe Försters Stimme schwang Unverständnis mit. Adrian versuchte gar nicht erst, ihm das zu erklären. Er wusste einfach nur, dass es so war und dass es richtig war und gut, wenn Henry das machte.
    »Bitte, Uwe, sprich mit ihm.« Böhmer würde verstehen, denn er stand auf der gleichen Seite wie Henry, auch wenn er das sicher so nie ausgedrückt hätte. Für beide zählte der Mensch, der die vor ihnen liegende Leiche einmal gewesen war. Und beide versuchten, diesem Menschen bis zum Ende gerecht zu werden, in seinem Sinne zu arbeiten, ihm mit Respekt und Anstand zu begegnen.
    Nachdem Adrian Uwe Förster das Versprechen abgerungen hatte, beendeten sie das Gespräch. Wie angenagelt blieb Adrian auf dem Sofa sitzen, das Telefon in der schweißnassen Hand, als könne er es zwingen, endlich zu klingeln. Dreimal hatte er auf Henrys Anrufbeantworter gesprochen. Dann war er nicht mehr angesprungen. Nun wusste Adrian, wie sich Katja gefühlt haben musste. Erbärmlich, lächerlich, gedemütigt. Es tat ihm leid, dass er sie so behandelt hatte.
    Er wählte die Nummer immer wieder und rechnete damit, dass Henry irgendwann einfach den Stecker ziehen würde.
    Als sie den Hörer abnahm, schwiegen sie zunächst beide.
    »Bitte«, sagte er rau. »Lass mich erklären.«
    »Ich will nicht mit dir reden, ich will dich nicht sehen und ich will nicht, dass du wieder anrufst.«
    »Gib mir eine Chance, Henry, ich will nur …«
    »Du willst eine Chance? Dann brich alle Brücken ab und verschwinde von hier. Es gibt nichts zu erklären. Du hast eine Freundin, zu der du gehörst. Einmal ist keinmal, sagt man doch. Ich bin fertig mit dir. Geh so schnell du kannst. Geh weit weg und schau nicht zurück. Fang neu an und lebe endlich. Du bist frei. Das ist deine Chance!«
    Adrian hörte Henrys schnellen Atem, den sie nicht unter Kontrolle brachte, und ein leises, tiefes Brummen. Mephisto schnurrte unter ihrer Hand, rieb sich an ihr. Eine Gänsehaut kroch über Adrians Rücken, als er daran dachte, wie sachte ihre Finger streicheln und wie fest sie zupacken konnten.
    »Es wäre besser für uns beide gewesen, wenn wir einander nie begegnet wären, Adrian Wolf. Besser für uns und für alle anderen wahrscheinlich auch.«
    Henry legte auf, ohne ihn noch einmal zu Wort kommen zu lassen. Sie hatte Recht. So verdammt Recht. Wären sie einander doch nie begegnet! Er hätte Katja nicht verletzt und auch nicht Henry; Jürgen Moosbacher wäre vielleicht noch am Leben. Vielleicht war Jürgens Tod erst in dem Moment beschlossen worden, als er bei dem Kampf aufgetaucht war. Weil einer von Westermanns Handlangern ihn, den Polizisten, erkannt hatte. Aber warum war er selbst dann davongekommen? Warum hatten sie ihn nicht auch aus dem Weg geräumt? War er als ungefährlich eingestuft worden? Oder als unfähig? Auf dem Weg nach Hause hatte er die ganze Zeit den Rückspiegel im Blick behalten, ob ihm jemand folgte. Gesehen hatte er niemanden. Hatte er nur Glück gehabt? Er lehnte sich zurück und legte den Kopf auf das Polster des Sofas. Glück.
    Im Versorgungsraum hatte Henry Jürgen Moosbacher geküsst; sanft, zärtlich, obwohl der Mann tot war. Es hatte ihn verletzt, wie viel er ihr bedeutet haben musste und wie geringschätzig sie ihn, Adrian, danach angesehen hatte.
    Niemals zuvor war er einem Menschen wie ihr begegnet; voller Liebe und Hingabe für die Toten, für ihre Arbeit, ihre Überzeugung. Sie hatte seine Welt auf den Kopf gestellt, sein Inneres nach außen gekehrt.
    Es wäre besser gewesen, sie wären einander nie begegnet.
    Er warf das Telefon gegen die Wand und presste sich die Hände auf die Augen. Es brannte hinter den geschlossenen Lidern, bis unter den Wimpern plötzlich erlösende Feuchtigkeit hervorquoll, über seine Wangen rann, den Hals hinab bis zur Brust und sein Hemd tränkte.
    Ein verzweifeltes Lachen erschütterte ihn wie ein Erdbeben. Sie hatte die Trauer und echten Schmerz zurück in sein
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