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Die Würde der Toten (German Edition)

Die Würde der Toten (German Edition)

Titel: Die Würde der Toten (German Edition)
Autoren: Brigitte Pons
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Selbstkontrolle zurück und streckte ihnen demonstrativ beide Arme entgegen. Die leeren Handflächen nach oben gedreht, die Gelenke gegeneinander gepresst, bereit, sich in Handschellen abführen zu lassen.
    »Guten Morgen, die Herren«, begrüßte sie die Polizisten mit fester Stimme. »Mein Name ist Henriette Körner, ich bin Thanatopraktikerin und habe dabei geholfen, Verbrechen zu verschleiern und Leichen verschwinden zu lassen. Wenn Sie so nett wären, mich mitzunehmen, werde ich ein umfassendes Geständnis ablegen. Selbstverständlich nenne ich Ihnen die Namen aller Beteiligten, die ich kenne, und übergebe Ihnen Unterlagen und Videoaufzeichnungen. Leider«, sie schaute Adrian bitter an, »gibt es hier sonst niemanden mehr, den ich schützen müsste – oder schützen möchte.«

* * *

    Dass man ihn sofort von seinem Arbeitsplatz abzog und in eine andere Abteilung umsetzte, konnte Adrian verschmerzen. Damit hatte er gerechnet, denn das war das übliche Verfahren. Es hätte schlimmer kommen können. Immerhin blieb ihm die Suspendierung erspart. Den Stempel auf der Stirn wurde man nicht mehr los – selbst wenn die Ermittlungen sich später als unbegründet erwiesen. Er war seinem Vorgesetzten dankbar, dass er sich für ihn eingesetzt hatte, ohne die Hintergründe zu kennen.
    Der Wechsel von der Recherche zum zentralen Fahrzeugwesen konnte ohne großes Aufsehen vollzogen werden. Dadurch hatte er keinen Zugriff mehr auf Daten, die für die interne Untersuchung von Bedeutung sein konnten. Stattdessen würde er in den kommenden Wochen über Wartungsplänen brüten und dafür sorgen, dass jedem Revier die passenden Einsatzwagen zur Verfügung standen.
    Er hatte eine Menge Fehler gemacht, für die er sich nun verantworten musste, und das war richtig so. Noch konnte er darauf hoffen, dass ihn diese Fehler nicht den Job kosten würden. Aber das war alles andere als sicher. Ein Strafverfahren war bereits gegen ihn eingeleitet worden, möglicherweise folgte noch ein Disziplinarverfahren. Die Vorstellung ließ ihn merkwürdig kalt.
    Seine Erkenntnisse und Henrys Beweismittel hatten dazu geführt, dass nun verschiedene Dienststellen zusammenarbeiteten. Ob man ihm das positiv anrechnete? Sachlich betrachtet war das ein großer Fortschritt. Trotzdem zweifelte er daran. Die übliche Organisation nach Fachgebieten und räumlichen Zuständigkeitsgrenzen begünstigte die Verbrecher. Die Dienststellen arbeiteten nebeneinander her und machten mit doppeltem Aufwand die gleichen Schritte mehrfach, statt sich zu vernetzen. Was dabei herauskam, sah man an diesem Fall deutlich.
    Adrian wusste genau, unter welcher Belastung die Kollegen nun standen. In höchster Eile mussten die vorliegenden Sachstände von der SoKo zusammengetragen und die Staatsanwaltschaft von der Dringlichkeit eines schnellen Zugriffs überzeugt werden. Es brodelte. Es kochte. Und er? Er konnte nur stillhalten und warten.
    Nachdem er seine Aussage gemacht hatte, lief er ziellos durch die Stadt – vom Präsidium zum Römerberg, hinunter zum Main und ohne Pause weiter bis nach Sachsenhausen. Er ging schnell, schwitzte dabei und wünschte sich Regen, der aber nicht fallen wollte. Adrian war sicher, er hätte sich besser gefühlt, wenn nur endlich ein eisiger Schauer seine Kleider durchnässt und ihn heruntergekühlt hätte. Ein fiebriges Brennen in seinem Magen trieb ihn vorwärts, bis er sich schließlich auf dem Südfriedhof wiederfand, vor Elisabeths Grab.
    Seit der Beisetzung war er nicht mehr hier gewesen. In der Zwischenzeit hatte man die Kränze abgeräumt. Ein Holzkreuz steckte in dem nackten Hügel. Bis der Steinmetz den Grabstein aufstellen konnte, würden noch Wochen, wenn nicht Monate vergehen. Und Henry sollte Blumen pflanzen. Er erinnerte sich, dass das so vereinbart worden war. Dabei hätte es bleiben sollen. Eine vertraglich festgelegte Geschäftsbeziehung. Dann wäre sein Leben jetzt kein Chaos.
    Er ging in die Hocke und zerbröselte einen Erdklumpen in der Hand. Manche Menschen sprachen mit den Toten, wenn sie deren Grab besuchten. Manche erleichterten ihre Seele, baten um Verzeihung oder verziehen selbst. Henry hielt das für eine gute Idee. Es gab eine Menge, was er Elisabeth nie gesagt hatte, offene Fragen, die nun nicht mehr zu klären waren. Schuld.
    »Mutter.« Das Wort klang seltsam fremd und er wiederholte es lauter. »Mutter.«
    Ungelenk erhob er sich, wischte die erdigen Finger an der Hose ab und schüttelte den Kopf. Er fühlte nur Leere.
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