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Die Woelfin

Die Woelfin

Titel: Die Woelfin
Autoren: Vampira VA
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habe er den Jungen bei einem unverzeihlichen Sakrileg erwischt.
    Erst jetzt schien ein Ruck durch den Körper des Jungen zu gehen, als erwache er aus einer tiefen Trance. Der Schreck fuhr ihm durch die Glieder, als er plötzlich bewußt den alten Mann auf sich zueilen sah. Ohne weiter zu überlegen, sprang er daher gehetzt auf die Füße, griff nach seinem Rucksack, den er an den Sockel gelehnt hatte, auf dem die Grabplatte in der Waagerechten erhöht ruhte und wandte sich in die Richtung des schmiedeeisernen Friedhofstores, um fortzulaufen.
    »Halt! Warte, mein Junge, lauf nicht fort! Ich will dir doch gar nichts tun!«
    Die Stimme des Alten hinter ihm schien auf einmal jeglichen Zorn verloren zu haben; sie war nicht mehr wütend und auch nicht mehr so laut wie bei den ersten Rufen, sondern hatte jetzt eher ein bittendes Timbre angenommen.
    Wahrscheinlich war das auch der Grund, warum der Junge zögerte und nicht einfach daran festhielt, fortzulaufen. Anstatt zu flüchten, warf er nunmehr einen Blick zurück über seine Schulter und sah den alten Mann in seinen klobigen Stiefeln auf ihn zuhasten, was eher einen komischen, denn einen bedrohlichen Eindruck auf ihn machte. Und wenn er es sich genau überlegte, hätte er zugeben müssen, daß es eigentlich überhaupt keinen Grund für ihn gab, davonzulaufen. Aber klare Gedanken konnte der Junge in diesem Moment überhaupt nicht fassen. Sein Kopf war wie ausgeblasen, als wäre ein schwerer Herbststurm hindurchgefegt und hätte alle Vernunft mit sich gerissen.
    Keuchend blieb der alte Mann vor dem Jungen stehen und bemühte sich, seinen Atem einzuholen. Dabei krallte sich eine seiner erdbraunen Pranken in den rotblaukarierten, dicken Stoff des Holzfällerhemdes, das der Junge offen wie eine Jacke über der teilweise bereits aufgescheuerten hellen Jeans trug. Der Alte tat dies weniger aus dem Grund, einem Schwächeanfall erlegen zu sein, sondern wollte lieber auf Nummer Sicher gehen und dafür sorgen, daß der Junge nicht doch noch ausbüchste. Dabei warf er beiläufig einen musternden Blick auf die Erscheinung des Knaben im grellbunt bedruckten T-Shirt vor sich, die in ihren nicht einmal richtig zugebundenen, hohen Turnschuhen zappelte, als der alte Mann einen weiteren Hustenanfall vortäuschte. Und er dachte bei sich: Läuft rum wie'n Landstreicher! Unsere Eltern hätten uns früher was erzählt, wenn wir so aus dem Hause gegangen wären!
    Der Junge gab ein angewidert klingendes Geräusch von sich und versuchte mit halbherzigem Wedeln seiner Hände, als ob er ein widerlich-lästiges Insekt verscheuchen wolle, die in seinen Lumber gekrallten Finger des Alten zu lösen, um nicht noch weiter mit Lehm beschmiert zu werden.
    »Is' ja schon gut, mein Junge, brauchst keine Angst vor dem alten Justus zu haben«, versuchte der alte Mann ihn zu beruhigen, als er die Abwehrhaltung des Jungen bemerkt hatte, »aber laß mich erst mal zu Atem kommen!«
    Ächzend lehnte sich der Alte mit seinem verlängerten Rückgrat an die Grabplatte, nahm mit der Linken seinen speckigen Hut vom Kopf und lüftete seine grauweißen, im zerdrückten Scheitel an den Kopf geklebten Haarsträhnen, während er mit der Rechten aus der tiefgründigen Tasche seiner Bollerhose ein zerknittertes, aber nichtsdestotrotz weißes Taschentuch von der Größen eines Kopfkissenbezuges hervorzog, mit dem er sich den Schweiß auf Stirn und Nacken trocknete.
    Anschließend setzte er seine zerknautschte Kopfbedeckung wieder auf, stützte sich mit seinen starken Armen auf der Onyxplatte ab, um sein Hinterteil auf eben diese zu hieven, kramte sodann mit beiden Händen in den ausgebeulten Taschen seiner Arbeitsjacke herum, förderte Tabaksbeutel und Pfeife zutage und begann damit, sich mit geschickten Fingern eine Pfeife zu stopfen, derweil er seine Beine vom Grabstein herunter wie ein Lausbub vor und zurückbaumeln ließ.
    Unterdessen hatte er den Jungen, welcher mit halboffenem Mund voller Verwunderung vor ihm stand, hin und wieder mit seinem alten, grauen, aber durchaus scharfsichtigen Blick unter seinen buschigen Brauen hinweg angeschaut, während der Junge ihn mit scheuen Rehaugen die ganze Zeit über angeglotzt hatte, als sei er das sprichwörtliche Mondkalb.
    Der Junge war von dem sonderbaren Benehmen des Mannes überrascht. Er hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit, daß sich der alte Mann einfach nur mit ihm unterhalten wollte. Was nicht nur daran lag, daß in seinem Kopf in letzter Zeit einfach zuviele Dinge
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