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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre
Autoren: Will Berthold
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den Vorsitzenden weiter; bis die Richter ihre Plätze eingenommen hatten, sah Schiele mit altem, krankem Gesicht zum Fenster hinaus, durch das die Sonne fiel wie eine Versuchung. Er zählte die Jahre, die ihm bleiben würden, und zog jene ab, die er verlieren müßte, betrachtete Martin und lächelte böse mit faltigem Mund. Mit Vierundsechzig ist man zu alt, um noch ins Gefängnis zu gehen, überlegte Schiele zwecklos; ich hätte diesen Ritt doch erschießen lassen müssen.
    Dann versagte sich der Jurist diese Überlegungen, mit jeder Faser beim Fall Ritt, entschlossen, den von der Troika Schlemmer-Link-Rothauch gezogenen Karren im Morast versinken zu lassen, ein Mann, der die Gerechtigkeit verachtete, ein Nihilist der Rechtsprechung und doch ein Moralist: wenn hier schon ein falscher Schuldiger geliefert werden muß, so dachte Schiele, kann ich es geradeso gut tun wie der Staatsanwalt und rette dabei noch ein großes Unternehmen. Die Richter nahmen ihre Plätze ein; die Anwesenden erhoben sich. Der Vorsitzende gab dem Gerichtswachtmeister ein Zeichen; man hörte, wie sich im Gang der Ansturm staute, wie die Polizisten dem Zeugen eine Gasse bahnten.
    Guido stand in der Tür, verbeugte sich. Schiele sah ihn an, und seine Pupillen waren wie Eisschollen, die den Jungen über die Wogen seines Temperaments trugen. Guido ging auf den Richtertisch zu, ein junger Mann, wohlerzogen, sachlich, trotz der verschärften Haft.
    Gut präpariert, Herr Rechtsanwalt, dachte Rothauch, aber warten wir ab. Er erinnerte sich der wüsten Beschimpfungen, die er hatte hinnehmen müssen, und lächelte erwartungsvoll. Er mußte die Renitenz dieses Burschen brechen, denn nach vorn flüchtend, kämpfte Rothauch nicht mehr allein gegen Ritt und Brenner, sondern gegen seine Vergangenheit, für seine Zukunft; was ihm der Junge wild an den Kopf geworfen hatte, las er als endgültige Drohung in Ritts hochmütigem Gesicht.
    Er verfolgte, wie Guido seine Personalien angab; einer aus dieser widerwärtigen Generation, verwahrlost und vaterlandslos, dachte er, nicht durch die harte Schule des Lebens gegangen, keine Ahnung von Disziplin, wie zum Beispiel dieser Ritt und ich, die wir gelernt haben, abzuwarten, sorgfältig zu zielen und zu treffen.
    »Herr Brenner«, ermahnte der Vorsitzende, »Sie sollen heute als Zeuge, nicht als Beschuldigter, vernommen werden. Sie wissen, daß Sie die Wahrheit sagen müssen. Aber –«, fuhr Erdmann mit klarer Stimme fort, so langsam sprechend, daß der vor ihm Stehende auch folgen konnte, »– Sie dürfen die Aussage verweigern, falls Sie sich selbst belasten müßten. Haben Sie das begriffen?«
    »Ja, Herr Vorsitzender.«
    »Bitte«, wandte sich der Landgerichtsdirektor an Rothauch.
    Der Staatsanwalt wuchs nach oben, fahlblaß, lichtblond. »Sie wollen also aussagen?«
    »Ja.«
    »Wann haben Sie sich dazu entschlossen?«
    »Schon bei der ersten Vernehmung«, erwiderte Guido, »ich gab es zu Protokoll, wann und unter welchen Umständen ich dazu bereit wäre.«
    »Also nicht erst seit gestern?«
    »Nein«, antwortete der Zeuge, »nur sind diese Umstände erst gestern eingetreten, als man die menschenunwürdigen Bedingungen …«
    »Als man Doktor Schiele zu Ihnen ließ, nicht?«
    »Als man einen Anwalt zu mir ließ …«
    »Vorher erzählten Sie etwas von einem Abgeordneten in der Badewanne …«
    »… in Haftpsychose«, antwortete Guido.
    »Das stimmt also nicht?«
    »Haben Sie es denn geglaubt, Herr Staatsanwalt?«
    »Nein«, entgegnete Rothauch. »Die Frage ist, ob man einem Mann, der nach eigener Aussage gelogen hat, überhaupt glauben kann.« Der Staatsanwalt verschränkte die Arme auf dem Rücken, übersah die Aufforderung des Vorsitzenden, schneller zur Sache zu kommen, und ging auf und ab.
    »Sie beleidigten mich. Was nannten Sie mich alles?«
    »Ich weiß es nicht mehr«, erwiderte Guido mit infernalischer Ruhe, »falls ich Sie getroffen haben sollte, Herr Staatsanwalt«, setzte er hinzu, »bitte ich um Entschuldigung.«
    »Sie haben ja mächtig hinzugelernt«, entgegnete Rothauch.
    »Bitte, Herr Staatsanwalt«, mahnte der Vorsitzende.
    »Sie hatten also Dokumente in der Hand?«
    »Ja.«
    »Geheime Dokumente?«
    »Ja.«
    »Die Sie von Regierungsamtmann Wirth kauften?«
    »Die man mir unentgeltlich überlassen hatte.«
    Die Spannung war lähmend, würgend. Martin spürte unbehaglich den letzten Schlag auf sich zukommen; er suchte Schiele mit den Augen, der wie gepanzert war gegen seinen Blick.
    »Wer hat
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